Die Jugend von Corleone bricht die Omertà

… wollen sich die Jugendlichen nicht länger an die Omertà – an das von der Mafia auferlegte Gebot des Schweigens – halten. Corleone soll endlich das Stigma der zugeknöpften, verschlossenen und blutbefleckten Mafiahochburg losbekommen und für kommende Generationen lebenswerter werden. Parlatene … als Ausgangspunkt zur Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit!

 

Vom Meer herkommend, geht’s zuerst durch die fruchtbaren Ebenen, mit ihren unzähligen Olivenbäumen, Rebstöcken und Zitrusfruchtplantagen. Danach schlängeln sich die Strassen ins zentrale Hochland von Sizilien hinauf, die Landschaft wird immer brauner und karger. Hier liegt Corleone. Es kann nicht nur Einbildung sein: Die Leichtigkeit des Seins ist nicht Sache der Bewohnerinnen und Bewohner von Corleone. Man scheint förmlich zu spüren, wie eine enorme historische Bürde die Schultern der Leute belastet.

 

Welch erfreuliche Kehrseite dazu im C.I.D.M.A., im Anti-Mafia Museum der Stadt (Centro Internazionale di Documentazione sulla Mafia e del Movimento Antimafia). Serena, Mitte zwanzig, Jura-Studentin, ist eine von 15 Freiwilligen, die für die Dokumentations- und Gedenkstätte arbeiten. Sie verkörpert das neue, das offene, sich aus den Fängen der organisierten Kriminalität befreiende Corleone. Sie führt uns durch das im Jahre 2000 u.a. in Anwesenheit von UN-Generalsekretär Kofi Anan und des italienischen Staatspräsidenten Ciampi eröffnete Museum.

 

Höchst eindrücklich wie unmissverständlich und unverschleiert Serena über die Vergangenheit (und Gegenwart) von Corleone spricht. Man spürt, die Mafia ist zwar zurückgedrängt, aber dies erst seit kürzester Zeit. Sogar sie, in ihren jungen Jahren, erzählt Geschichte aus erster Hand. Etwa, wenn sie auf ihre Schulfreundinnen aus der Grundschule zu sprechen kommt, die lernen mussten, mit der Verurteilung ihrer Väter als Mafiosi umzugehen. Oder wenn sie von ihrer Grossmutter erzählt, die sich immer noch getreu an den Grundsatz des sizilianischen Sprichworts hält, «wer taub, blind und stumm ist, lebt hundert Jahre in Frieden» und Angst um ihre Enkelin hat, die für ein offenes, tabuloses Corleone eintritt.

 

Weil es den Museumsmachern wichtig erschien, die Geschichte direkt und authentisch widerzugeben, kann das Museum nur mit Führung besucht werden. Es arbeitet fast ausschliesslich mit Bildern, Text findet sich kaum. Ausgangspunkt des Museums sind drei frühe, prominente Opfer der Corleonesi-Clans: der erste Bürgermeister Corleones, der sich gegen die Mafia stellte, Bernardino Verro, der Gewerkschafter, Placidio Rizzotto und der Carabinieri-General Alberto dalla Chiesa. Erstmals im sog. Maxiprozess von 1983 gelang es Mörder der Mafia und Gefolgsleute vor Gericht zu bringen und zu verurteilen. Im Museum finden sich alle Kopien der entsprechenden Gerichtsakten und insbesond. die Aussagen des entscheidenden Kronzeugen Tommaso Buscetta, der als erster Mafioso den Verfolgungsbehörden Einblick in die Struktur und Organisation der Cosa Nostra, d.h. der sizilianischen Mafia, gewährte. In drei weiteren Sälen wird anhand von Fotos auf die Themen, wie arbeitete die Mafia, auf welchem Nährboden gedieh sie und welches Leid hinterliess sie, eingegangen. Einfühlsam schildert uns Serena die bewegenden Einzelschicksale hinter den Bildern.

 

Nicht zuletzt auch aus Solidarität mit den jungen Corleonesi können wir einen Besuch des C.I.D.M.A und der Stadt sehr empfehlen. Für uns selber bedeutet es nun Abschied von Sizilien zu nehmen, diesem ausserordentlich herzlichen, vielfältigen und spannenden Flecken Italien’s – alla prossima, cara Sicilia!