Gurken, Schinkel, Kohle – Radtour durch die Lausitz

Mai 2022

 

Die Lausitz als Reisedestination? Wer nicht aus der Umgebung kommt, wird diese südöstlich von Berlin und östlich von Dresden gelegene Region, in deren Zentrum sich Cottbus befindet, kaum je für einen Urlaub in Betracht ziehen. Zu Unrecht, wie Transit Berlin, die von Ellen und Thomas Bernhard geführte «Agentur für neugieriges Reisen» (www.transitberlin.ch) aufzeigt. Die von ihnen angebotene Radtour «Gurken, Schinkel, Kohle – Vom Spreewald in das Lausitzer Seenland» lässt einem wieder einmal erkennen, wieviel es auch abseits der bekannten Touristenpfade und -zentren zu entdecken und zu erleben gibt.

 

Die Radtour startet in Lübben. Von hier aus geht’s durch den Spreewald nach Straupitz. Die Auen- und Moorlandschaft ist als Biosphärenreservat geschützt. Wie wasserreich das Gebiet ist, zeigen die vielen Teiche und Kanäle, denen man auf der Fahrt immer wieder begegnet. Ein wahres Paradies für die Vogelwelt. Die feuchten und humusreichen Böden rund um den Spreewald eignen sich hervorragend für den Anbau von Gurken. Die «Spreewaldgurke» war denn auch eines der wenigen DDR-Produkte, das nach der Wiedervereinigung Deutschlands auf dem Markt überlebte. Deswegen nicht erstaunlich wird den Radelnden vor der Tour ein Glas Gurken als Reiseproviant ausgehändigt. Die Gurken zieren selbstverständlich auch eine der kulinarischen Spezialitäten der Region: Quark und Leinöl, mit Pellkartoffeln serviert.

 

Der Titelgebung der Radtour folgend übernimmt in Straupitz Schinkel von den Gurken. Mitten im Dorf erhebt sich die markante «Schinkelkirche». Dieser vom bedeutenden preussischen Architekten Karl Friedrich Schinkel projektierte Bau wurde 1831 errichtet. Für den Architekten soll es nicht einfach gewesen sein, seine künstlerischen Ansprüche mit den beschränkten finanziellen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, zu vereinbaren. Die formale Schlichtheit der äusseren und inneren Ausgestaltung der Kirche, auf die die lokale Vertreterin gerne hinweist, ist eine Folge davon.

 

Via Peitz – die der Stadt gegenüberliegenden Kühltürme des Kohlekraftwerks Jänschwalde strahlen gar eine gewisse Ästhetik aus – führt die Radtour weiter nach Guben und danach über die Grenze nach Brody in Polen. Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs (Verschiebung der Westgrenze Polens an die Oder/Neisse) befindet sich ein Teil der Lausitz auch auf polnischem Staatsgebiet. Die Stadt Guben/Gubin besteht seither aus einem deutschen und einem polnischen Teil. Ein Rundgang mit dem Stadtwächter und Stadtoriginal zeigt rasch, wie unterschiedlich sich die Ortsteile westlich und östlich der Neisse entwickelt haben. Hier, die mit Wiederaufbauhilfe neu renovierten Strassenzüge, dort Kriegsschäden, die nach wie vor nicht beseitigt sind.

 

In Brody wird man mit der wechselhaften Geschichte der Lausitz konfrontiert. Lange Zeit böhmisch, dann ab Anfang des 17. Jahrhunderts sächsisch, kommt ein Grossteil der Region nach dem Wiener Kongress von 1815 unter preussische Herrschaft. Das Schloss Pförten (heute Brody) wird ein Opfer der Auseinandersetzungen zwischen den Sachsen und den Preussen und insbesondere der erbitterten persönlichen Feindschaft zwischen dem sächsischen Schlossherrn Heinrich von Brühl und dem preussischen König Friederich II. Das Schloss wird in Brand gesetzt. Leider fehlt auch heute noch das Geld für einen umfassenden Wiederaufbau der Schlossanlage. Im Hotel im Nebengebäude lässt sich aber äusserst stilvoll übernachten.

 

Die Lausitz war zu DDR-Zeiten das Zentrum der Energiegewinnung des Arbeiter- und Bauernstaates. Der Braunkohleabbau hat seine Spuren hinterlassen. Der heute noch betriebene Tagebau in Welzow zeigt eindrücklich, welche immensen Schrunde und Klüfte in der Landschaft aufgerissen werden. Die hier abgebaute Kohle wird zu einem grossen Teil im Kohlekraftwerk «Schwarze Pumpe» verwendet. In Lauchhammer stehen die sogenannten Biotürme, Relikte der Koksproduktion in der DDR. Dort, wo sich einst die rauchende und dampfende Braunkohle-Kokerei (in der Kohle zu Koks verarbeitet wurde) befand, sind nur noch sie sowie eine Solaranlage auf grüner Wiese zu sehen. In den Türmen wurde das bei der Kokserzeugung entstehende phenolhaltige, schwer toxische Abwasser gereinigt.

 

Die Kohle ist in der Lausitz ein allgegenwärtiges Thema. Nicht nur wegen des von der Regierung Merkel beschlossenen Kohleausstiegs bis 2038, auch die Nutzung der zahlriechen stillgelegten Baggergruben wirft hohe Wellen. In beschränktem Umfang werden sie zugeschüttet und neu aufgeforstet. Der grösste Teil wird geflutet. In der Lausitz soll Europas grösstes künstliches Seengebiet entstehen. Der Klimawandel und die auch in der Lausitz spürbare Verknappung des Wassers machen den Plänen allerdings zu schaffen. Immerhin, die unter anderem vom Aussichtsturm «Rostiger Nagel» gut überblickbaren neuen Seen verraten das Potenzial des Seelandes Lausitz.

 

Die Radtour endet in Cottbus. Ein geschmackvoll saniertes und renoviertes Zentrum, das imposante Staatstheater, die von Herzog und de Meuron entworfene Universitätsbibliothek und das «Prima Wetter» für die Nachtstunden sind hier besondere Attraktionen.

 

Zu sehen und zu erleben, wie stark sich die das Gebiet der ehemaligen DDR seit der Wende verändert hat (die ehemaligen Trabi-Garagen und verbleichte Inschriften lassen grüssen), die vielen sonstigen Eindrücke (so auch die von der Bauhaus-Bewegung inspirierte Siedlung «Jerusalem» in Forst oder die Gartenstadt «Marga» in Senftenberg) und persönlichen Begegnungen (die Überalterung der neuen Bundesländer ist wahrlich kein Mythos!), die kundige Führung von Ellen und Thomas Bernhard und schliesslich das ausgezeichnete Radwegnetz in der Lausitz lassen die Tour zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Glückauf, wie der Gruss der Bergarbeiter lautet!