16. November 2022

 

Wer, wie wir, mit der Fähre von Genua anreist, durchläuft ein veritables Wechselbad von Kulturen, bevor man im Süden von Andalusien in die iberische Welt eintauchen kann. Nach fünfzig Stunden des Durchpflügens des Mittelmeers, das im November ganz schön rau sein kann, legt die Fähre in Tanger an. Der Muezzin empfängt einem mit einem durchdringenden «Allahu akbar» über die scheppernden Lautsprecher oben am Minarett. Die Gestaltung der Corniche, die Strassensignalisation und etliches mehr verraten danach die französische Kolonialvergangenheit Marokkos. Die Fähre am nächsten Tag bringt uns über die Strasse von Gibraltar. Wo landet man da? In little London … so kommt es einem jedenfalls vor. Gibraltar ist sichtlich stolz auf seine Zugehörigkeit zum British Empire. Der Hauch von Fish&Chips liegt in der Luft und in den engen Strassen zirkulieren rote doppelstöckige Busse.

 

Wir verlassen die Meerenge mit dem markanten Felsen, diese bedeutende Wegkreuzung der Geschichte, in nordwestlicher Richtung und folgen den herrlich wilden Stränden (und eindrücklichen Sonnenuntergängen) nördlich von Tarifa in Richtung Cadiz. Es ist die Region, wo viele Dörfer und grössere Orte den Zusatz «de la Frontera» tragen. Dieser erinnert an die Zeit, wo die Region umkämpftes Gebiet zwischen den Christen und den islamischen Mauren war. Vejer de la Frontera und weiter im Landesinnern Arcos de la Frontera sind Beispiele dafür. Der berühmteste «de la Frontera»-Ort, ist selbstverständlich Jerez, das Herz der Sherry Produktion. Auf die Zeit der Mauern zurückgehen soll auch die Einheitsfarbe der Dörfer: weiss. Die Pueblos blancos in der Sierra de Cadiz (resp. Sierra de Grazalema) strahlen einem ebenso entgegen wie die Dörfer in den Ebenen.

Östlich, hinter der Sierra de Cadiz, liegt Ronda. Berühmt ist die Stadt wegen ihrer Lage auf einem Plateau, das rundum steil abfällt. Der alte und der neue Stadtteil sind durch eine imposante Brücke miteinander verbunden. In früheren Zeiten mussten Sklaven durch eine in den Fels gehauene Treppe das Wasser vom Fluss unten in die Stadt hoch tragen. Oben in der Stadt liessen es sich derweil die Herrschaften gut gehen. So etwa in den auch heute noch einladenden Gärten des Casa del Rey Moro. Ronda ist zudem berühmt wegen seiner Stierkampfarena, die die älteste des Landes sein soll. Die Kampfsaison ist an sich vorbei. Dennoch, ein kleiner Mops zeigt Mut und wagt es, sich der Matadorin zu stellen. Nachdem wir die Sierra hinter uns gelassen haben, geht es vorerst durch Korkeichenplantagen, dann durch Olivenhaine soweit das Auge reicht. Schliesslich wird es so trocken, dass auch Schafe kaum noch etwas Fressbares finden.

Cordoba war die blühende Hauptstadt des Maurenreichs auf der iberischen Halbinsel. Die Moschee-Kathedrale zeugt von der Hochkultur, die damals geherrscht haben muss. Sie zeugt aber auch von einer bemerkenswerten Weitsicht der christlichen Rückeroberer (Reconquista) ... wenigstens in diesem Fall. Statt, wie andernorts, die muslimischen Baudenkmäler abzureissen und durch neue, christliche, Bauten zu ersetzen, wurde eine Synthese gewagt. In die Hauptmoschee wurde baulich eine christliche Kirche integriert. Interessant sind die Schnittstellen zwischen den ursprünglich islamischen und den neueren christlichen Bauteilen. In der Medina von Cordoba wie auch auf der Plaza de la Corredera lässt es sich bestens verweilen.

Von Sevilla aus entdeckte Christoph Kolumbus die neue Welt. Der gesamte transatlantische Handel dieser Zeit lief fortan über Sevilla. Er bescherte der Stadt einen Reichtum, der bis heute sichtbar ist. Es wurde die grösste Kirche der damaligen Zeit gebaut (heute immer noch die drittgrösste Kirche Europas, nach dem St. Petersdom in Rom und der Saint Pauls Cathedral in London). Das heutige Sevilla hat allerdings bedeutend mehr zu bieten als Baudenkmäler. Die Lebenslust der Leute, die Freude an ihren Traditionen, am guten Essen, am gesellschaftlichen Beisammensein, am Festen und an der Musik ist beinahe zu allen Tages- und Nachtzeiten spürbar. Sevilla gilt denn auch als Hauptstadt des Flamenco. Daher nicht zu verpassen sind die einmaligen Flamencovorführungen im Museo del Baile Flamenco.

 

23. November 2022

 

Von Sevilla reisen wir weiter in den Parque Nacional de Doñana. Der Nationalpark liegt im Mündungsgebiet des Flusses «Guadalquivir», ist rund 80'000 Hektaren gross und war ursprünglich ein reines Feuchtgebiet. Weite, hinter den Dünen liegende Gebiete sind heute mit Kiefern überwachsen, wie man vom Dach eines mitten in der Wildnis des Parkes liegenden Palastes selber feststellen kann. Das Bauwerk erinnert einem an den Film «Fitzcarraldo» von Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle, einzig dass hier nicht eine Oper, sondern ein Loire-Schloss in den Urwald gestellt wurde. Der Park ist ein wichtiges Überwinterungs- oder Rastgebiet für Zugvögel. Daneben ist er ein Habitat für viele weitere Vogelpopulationen. Er ist grösstenteils für das Publikum geschlossen und nur an wenigen Stellen zu Fuss begehbar. Da! Auf einmal taucht ein Sumpf-Habicht am Himmel auf. Die Kolonie der Stelzenläufer wird aufgeschreckt und fliegt kreischend davon. Dann ein paar Stockenten im Formationsflug und schliesslich zeigen sich gar noch ein paar junge Flamingos.

 

Huelva, am Rande des Doñana-Parks gelegen, war der Hafen, von dem Christoph Kolumbus lossegelte, um für die spanische Krone die Westroute nach Indien zu sichern. Replikas der drei Boote – Santa Maria, Niña und Pinta –, die 1492 statt in Indien in Amerika landeten, sind in Palos de la Frontera ausserhalb von Huelva zu besichtigen. Ob Kolumbus auf seinen Reisen wohl auch Orangen mitnahm? Solche gibt es im Umfeld von Huelva heute jedenfalls in Hülle und Fülle. Wunderschön, ausserhalb von Heulva, auch das Mündungsgebiet des Rio Tinto. Warum nur so weit segeln, hätte sich Kolumbus an sich die Frage stellen müssen, wenn die Karibik doch vor der eigenen Haustüre liegt?

Wie die Mauren in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n.Chr. ziehen auch wir al-garve (arabisch «gegen Westen»). Auch in der Algarve sind die maurischen Spuren sichtbar. Die kleinen kaminförmigen Minarette auf vielen Häusern der Region sollen unter anderem davon zeugen. Rasch wird klar, dass sich die authentischen und idyllischen Örtchen gut suchen muss, wer nicht auf Mainstream-Tourismus aus ist. Wir glauben, einige davon gefunden zu haben. Etwa der malerische Hafen von Tavira mit seiner alten, römischen Brücke an dessen oberen Ende. Dann das Naturschutzgebiet «Ria Formosa» in der Lagune vor Olhão und Faro. Unser Captain und Guide Alvaro führt uns mit seinem Boot über die bei Flut seeähnliche Lagune zu den vorgelagerten Inseln Iha do Farol, Culatara und Armona. Er zeigt uns die riesigen Seegurken im Fischerhafen von Culatara und weist uns auf einen Luftkampf unter Möwen um ein Stück Fisch hin …  den andere Artgenossen wiederum sehr entspannt und gelassen verfolgen. Nach einem Mittagessen mit lokalen Fischspezialitäten geht es zurück durch eine völlig veränderte Landschaft. Vom See ist nichts mehr zu sehen. Die Schiffe können lediglich noch einige wenige Fahrrinnen befahren. Wo vorher Wasser war, kommen nun Austernzuchten zum Vorschein. Die Schnepfen und auch der Storch stochern im von der Ebbe freigelegten Boden nach ihrer Mahlzeit.

Ein weiteres Highlight ist der Fischmarkt in Portimão, dem grössten der Algarve. Nach langem Zögern wählen wir einen Fisch, den wir schon kennen: Die Seebarbe oder Triglia. Der Fischverkäufer filetiert unser Nachtessen unter kritischem Blick der Kundschaft. Ein Ort, der es uns besonders angetan hat, liegt ganz im Westen der Algarve. Das kleine Fischerdorf Salema. Der Massentourismus hat hier zum Glück noch nicht Einzug gehalten. Ein paar wenige Surfer und die wenigen Einheimischen beleben das Dorf um diese Jahreszeit. Hinter Salema findet sich danach nur noch Sagres. Der Ort, eine kurze Landzunge, steile Klippen und danach nur noch Atlantik, Atlantik, Atlantik….

Etwas vom Faszinierendsten, was die Algarve zu bieten hat, ist ihr Licht. Die verschiedensten Gelb- und Blauabstufungen in einer Intensität, wie man sie sonst kaum je zu sehen bekommt. Die atlantischen Farbtöne der Algarve werden sie genannt. Wildeste Naturkraft in entsprechender Kolorierung erlebt man schliesslich an der Westküste der Algarve. Hier peitscht der Wind rund um die Uhr und treibt die Wellen unermüdlich aufs Land zu. Das ist Meer!

 

29. November 2022

 

Die nördlich der Algarve gelegene Region Alentejo bietet allerlei für Geniesserinnen und Geniesser. Vorab in kulinarischer Hinsicht. In den Küstenregionen etwa die Cataplana de Marisco, eine Art Bouillabaisse die ihren Namen vom Kupfertopf (Cataplana) erhalten hat, in dem sie gekocht wird. Die länglichen Schwertmuscheln lassen einen wahrhaft ins Meer beissen … anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Herrliche Leckerbissen liefert sodann das Porco Preto Alentajano. Diese frei herumlaufenden schwarzen Weideschweine, ernähren sich vor allem von Eicheln, die in den riesigen Kork- und Steineichenwäldern des Alentejo zuhauf herumliegen. Wie überall in Portugal finden sich stets auch eine Vielzahl von Bacalhau-Zubereitungen auf den Speisekarten. An sich erstaunlich, denn das portugiesische Nationalgericht stammt nicht aus heimischen Gewässern. Für den Dorsch, der zur Konservierung gesalzen und getrocknet und dadurch zum Bacalhau wird, ist es im Meer rund um Portugal zu warm. Die Wirtschafts- und Ernährungskrise unter der Salazar-Diktatur trieb die portugiesischen Fischer dieser Zeit in den Nordatlantik, um erschwingliche und zugleich nährwertreiche Fänge einzuholen. Die Fische mussten noch auf den Booten konserviert werden, ansonsten sie nach der langen Seereise nicht mehr geniessbar gewesen wären. So war der Bacalhau geboren. Die in u.a. in Supermärkten gestapelten oder aufgehängten gesalzenen und getrockneten Dorsche müssen mehrere Stunden gewässert werden, um ihr Volumen und ihre Geniessbarkeit zurückzuerhalten. Erst danach werden sie mit allerlei Gemüse gekocht oder gebraten. Dazu passen die herrlichen Alentejo-Weine (nicht nur sehr gute Rot-, sondern auch ausgezeichnete Weissweine) optimal!

 

Zum Leidwesen vieler werden die Kork- und Steineichen an etlichen Orten durch neu aufgeforstete Eucalyptus-Wälder verdrängt. Die schnellwachsenden Bäume dienen der Papierproduktion. Immerhin lassen sich die Forstwege gut als Mountainbike-Trails verwenden. Die Mandelbaumkulturen erscheinen zu dieser Jahreszeit in violettem Ton. An anderen Stellen leuchtet das Alentejo grün … harmonisch in Kombination mit den satten Farben der Häuser und Windmühlen.

Im Zuge der Reconquista wurden viele Burgen zur Sicherung der rückeroberten Gebiete gebaut. Diese beherrschen nun die Dörfer und Städtchen wie etwa in Portel oder Monsaraz. Vom letzteren Hügeldorf mit seinen malerischen Gassen lässt sich bis weit in die spanische Extremadura hinein blicken. In Evora - einem Highlight des Alentejo – wird die Stadt nicht durch eine Burg, sondern durch die grösste Kathedrale des Landes beherrscht. Evora war bereits in römischer Zeit ein wichtiges Zentrum, wovon sowohl die Ruinen des Diana-Tempels wie auch der noch gut erhaltene Aquaedukt zeugen. Der Besuch der lebendigen Stadt … und der Taberna Tipica Quarta Feira (Moto: Wir wählen für dich das Menu, du wählst das Getränk 😊) ist allen zu empfehlen. Wenige Kilometer nordöstlich von Evora liegt das Carrara von Portugal: Estremoz. Gleich hinter dem (marmornen) Friedhof werden der Marmor abgebaut und die Quader legosteinähnlich aufgeschichtet. Selbstverständlich gibt sich auch das Zentrum des Ortes marmorn.

Nördlich des Alentejo besuchen wir noch drei Orte. In Nazaré, dem Mekka der Surfer, regnet es und von Wellen keine Spur. Wir müssen uns beim Anblick von Fotos darüber hinweg trösten, hundert Kilometer vergeblich gefahren zu sein. In Tomar scheint sich vorerst zu bestätigen, was wir vorher schon gesehen haben: Ein Ort, beherrscht durch eine Burg. Aus anderer Perspektive zeigt sich allerdings rasch, dass der «Convento de Cristo» keine Burg im herkömmlichen Sinne ist. Der Ort war Hauptsitz der Tempelritter in Portugal. Der Orden der «Krieger Gottes», der Rittertum und Mönchstum miteinander zu verbinden suchten, verband hier eine Burg mit einer immensen Klosteranlage, die eine (leider derzeit in Renovation stehende) Rundkirche und zahlreiche Kreuzgänge umfasst. Papst Clemens V. verbot zwar anfangs des 14. Jahrhunderts den Tempelritterorden. Dieser war ihm zu mächtig geworden. Wegen der noch laufenden Reconquista meinte die weltliche Macht in Portugal nicht auf ihn verzichten zu können. So behielt er hier seine Bedeutung noch für etliche Zeit. In Coimbra besuchen wir eine der ältesten Universitäten der Welt. Diese liegt auf einem Hügel über der Altstadt. Berühmt ist sie für ihre Bibliothek aus dem 17. Jahrhundert (in der keine Fotos gemacht werden dürfen) und für den Saal, von dem aus die ersten Könige von Portugal reagiert hatten. Vom Balkon vor dem ehemaligen Universitätsratssaal bietet sich eine wunderbare Aussicht auf die Altstadt und den Fluss «Mondego».

Mit diesem Blick über Coimbra geht für uns die einmonatige Reise durch den Südwesten der iberischen Halbinsel zu Ende. Kaum zu glauben, was wir in dieser Zeit alles sehen und erleben durften. Die maurische Vergangenheit macht diese Region in der Tat sehr besonders. Die Kolonisierung der neuen Welt und die daraus folgende wirtschaftliche Hochblüte Spaniens und Portugals haben das zusätzliche Erbe hinterlassen, das das Gebiet kulturell so interessant macht. Daneben lebt dieser Teil Lusitaniens von seiner landschaftlichen Schönheit und den vielen Köstlichkeiten, die einem geboten werden. Wir werden diese Reise noch lange in Erinnerung halten!