13.11.2018
Dies waren Entwürfe und Skizzen, aufgrund derer der Schweizer Architekt Le Corbusier anfangs der 1950iger Jahre seine Skulptur «open hand» für Chandigarh schaffte. Das Monument steht mitten im sog. «Capital Complex» und soll «the hand to give and the hand to take; peace and prosperity, and the unity of mankind» symbolisieren. Werte, von enormer Bedeutung für das Indien des Aufbruchs und der Versöhnung kurz nach der Unabhängigkeit von Grossbritannien und der damit einhergehenden Abspaltung von Pakistan.
Das letztere Ereignis war denn auch der eigentliche Auslöser für den Neubau der Stadt Chandigarh auf der «grünen» resp. hier vielmehr «braunen» Wiese. Die indische Region Punjab hatte bei der Aufteilung des Subkontinents ihre Hauptstadt Lahore an Pakistan verloren. Der damalige indische Premierminister Nehru gab daher 1949 eine neue Hauptstadt für die Region in Auftrag. Mit der Verwirklichung seiner Vision («let this be a new town symbolic of the freedom of India, unfettered by traditions of the past … an expression of the nation’s faith in the future») betraute er Le Corbusier. Dieser wiederum nahm die Chance, seinen Lebenstraum zu erfüllen gerne wahr, nämlich von Grund auf eine neue Metropole zu kreieren, gegliedert nach den Funktionen Wohnen, Arbeiten und Erholen.
Assistiert wurde Le Corbusier von seinem Cousin, Pierre Jeanneret, ebenfalls Architekt. Le Corbusier selber widmete sich den eher monumentalen Gebäuden im «Capital Complex»: Dem Regional-Parlament mit vorgelagertem «Shadow Tower» (der primär Studien zur Lichtbrechung resp. zur Vermeidung von Hitze in Gebäuden diente) dem dahinter postierten Ministerialgebäude und dem gegenüberliegenden High-Court-Bau. Pierre Jeanneret war aktiv bei der Schaffung von Wohnraum (er kreierte nicht nur verschiedene Typen von Muster-Wohnhäusern, sondern designte auch funktionale, günstige Möbelstücke) und hatte die architektonische Leitung beim Bau der Universität inne (prägend das zentrale, runde Administrativgebäude, Studenten-Wohnheime und verschiedene Lecture Halls).
Die Stadt ist gitterförmig in Sektoren aufgeteilt, mit breiten Strassenzügen, die sie voneinander abgrenzen. Nirgends sonst in Indien haben wir eine so geringe Verkehrsdichte und entsprechend, einen so geordneten Verkehr erlebt wie hier. Quasi als Kontrast zur durch-strukturierten (heute an vielen Stellen zwar auch etwas heruntergekommenen) Stadt hat der indische Künstler, Nek Chand, am Rande von Chandigarh einen äusserst inspirierenden, verspielten «Rockgarden» gestaltet. Er sammelte und verwendete dafür eine grosse Vielfalt von Steinen und Bauschutt – von Bruchstücken alter Lavabos bis hin zu zerbrochenen ehemaligen Keramiksteckdosen.
Ein besonderes Erlebnis zuvor auch die Fahrt mit der Schmalspurbahn von Shimla nach Kalka (in der Nähe von Chandigarh). Für die 96 Kilometer bedarf es zwischen 5 bis 7 Stunden. Es werden 1600 Höhenmeter überwunden, 102 Tunnel durch- und 988 Brücken überfahren. Im Zug sitzend, kann man sich lebhaft vorstellen, wie die damaligen britischen Kolonialherren mit ihren Familien in dieser Bahn der Hitze in der Ebene entflohen und in’s kühle Shimla hochgefahren sind.
Mittlerweile befinden wir uns in New Dehli. Ein Kulminationspunkt in vielerlei Hinsicht. Vorab betreffend Schadstoffe in der Luft. Die Umrisse des Präsidentenpalasts lassen sich im Smog nur knapp erahnen. Zum Glück sorgen die Tuc-tucs und die Ampel für ein paar Farbtupfer. Kaum an einem anderen Ort in Indien manifestieren sich auch die Divergenzen in der indischen Gesellschaft so offensichtlich wie hier. Die Nobelgeschäfte am Connaught Platz liegen nur ein paar wenige Strassenecken entfernt von den ärmlichsten Verhältnissen in Old Dehli. Wie es gelingt, eine derart auseinanderklaffende Gesellschaft zusammenzuhalten, bleibt für uns auch nach dieser Reise letztlich ein Mysterium. Der Ende 12. / Anfang 13. Jahrhunderts – anlässlich des Sieges der Moslems über die hinduistischen Herrscher von Dehli – erstellte Qutb Minar gehört selbst heute noch zu den höchsten Turmbauten des Islams. Im Mausoleum «Humayun’s Tumb» liegt der Sohn Babur’s begraben. Babur sind wir im vergangenen Jahr in Zentralasien begegnet. Er war der letzte Herrscher der in Samarkand (Usbekistan) residierenden Timuridendynastie und zugleich – nach seiner Durchquerung des Karakorum – der Begründer des Mogulreichs in Indien. Eindrücklich schliesslich auch die Jama Masjid Moschee in der Altstadt von Dehli. Offensichtlich sehr beliebt bei Schweizer Touristen :-).
Morgen Nacht fliegen wir zurück in die Schweiz. Indien hat uns auch dieses Jahr wieder fasziniert. Die Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Leute, der immense Reichtum an Kultur und die atemberaubenden Landschaften in diesem Land ziehen einem einfach in den Bann. Ganz besonders gepackt wurden wir dieses Jahr aber natürlich durch die speziellen Begegnungen und die besonderen Einsichten, die wir - dank Kavya und Sam - in Dedtalai und Umgebung erfahren durften. Nie gerieten wir in eine kritische Situation und erreichten - trotz teilweise äusserst schwieriger Verkehrsverhältnisse - immer sicher unser Ziel. Stellvertretender Dank dafür an die Tuc-tuc- und Taxifahrer, die uns in Dehli chauffiert haben! Damit ein letztes Mal «namaste» ... e alla prossima sul blog «cara italia» 😊
6.11.2018
Das Dorf Kalpa liegt im Kinnaur District – wenige Kilometer von der indisch/tibetisch-chinesischen Grenze entfernt – auf einer Terrasse 3000 müM. Weit unten hat sich der Sutley-Fluss in das Tal eingegraben. Majestätisch darüber thronen die rund 6500 m hohen Kinner Kailash Berge. Wir haben Glück mit dem Wetter. Bereits frühmorgens gibt die Sonne alles und strahlt, so stark sie kann, zuerst den Berg hoch und dann über ihn hinweg. Das Tal erleuchtet und auch ihr wichtigstes Heiligtum beginnt zu strahlen – ein rund 20m hoher Felsbrocken am Grat des Mt. Kailash. Hinduistischer Überlieferung zufolge soll sich hier die Winterresidenz von Lord Shiva befinden und dies der Ort sein, wo er Göttinnen und Götter um sich versammelt.
Das Heiligtum spielt nicht nur im Hinduismus eine grosse Rolle, sondern ist auch für den Buddhismus von Bedeutung. Entsprechend stehen im Dorfzentrum von Kalpa der hinduistische Tempel Seite an Seite mit dem buddhistischen Kloster.
Wir erreichen Kalpa mit dem Bus in drei Etappen von Shimla herkommend. Shimla war unter britischer Herrschaft die Sommerresidenz der Kolonialregierung. Im Zentrum von Shimla könnte heute noch der Eindruck entstehen, man befinde sich irgendwo in Grossbritannien. In kaum einer anderen indischen Stadt ist die christliche Kirche so zentral platziert und der Baustil so britisch. Dieser Eindruck ändert sich, sobald man in den Lower Bazar hinuntersteigt. Hier herrschen ein Handeln und Treiben wie in jeder anderen indischen Grossstadt.
Von Shimla nach Kalpa nehmen wir die «Hindustan-Tibet Road». Der Bau dieser Himalaya durchquerenden Strasse wurde 1850 vom damaligen britischen Viceroy in Indien, Dalhousie, in Auftrag gegeben. Der Einfluss der britischen Herrschaft konnte dadurch weit gegen Norden ausgedehnt werden. Dies besiegelte das Ende des Königreichs Bushahr, das vorher über Jahrhunderte hinweg das schwer zugängliche Sutley-Tal beherrschte. Die Residenz des letzten Königs von Bushahr finden wir in Rampur.
Weiter oben im Tal liegt Sarahan. Das Dorf wird beherrscht durch den Bimakali-Tempel. Er ist Kali, der Ur-Mutter aller hinduistischen Göttinnen und Götter geweiht. Das Bauwerk ist ein eindrückliches Zeugnis ursprünglicher lokaler Holzbaukunst. Alte, schön verzierte Holzbauten sind glücklicherweise auch in anderen Dörfern entlang der Hindustan-Tibet Road erhalten. Als Bergler an sich nicht überraschend, sind die Leute hier bedeutend ruhiger und zurückhaltender als in den anderen Regionen Indiens, die wir bisher bereist haben. Wir empfinden sie zwar als äusserst freundlich und zuvorkommend. Aber, bspw. beim Taxisuchen oder auf dem Markt müssen wir die Initiative ergreifen, wenn wir etwas wollen. Nichts von ständigen Angeboten abwehren, wie das im übrigen Indien der Fall ist.
Morgen geht's nun zurück nach Shimla und dann in die von Le Corbusier entworfene Stadt, Chandigarh.
31.10.2018
In welcher Pracht, in welchem Glanz er einem entgegenstrahlt – der goldene Tempel von Amritsar! Das höchste Heiligtum der Sikhs, im 16. Jahrhundert erbaut, steht auf einer Insel mitten im geweihten Teich «Amrit Sarovar». Dieser wiederum ist umgeben von einer Palastanlage mit einem Tor in jede Himmelsrichtung. Damit soll die Offenheit der Sikhs gegenüber allen anderen Menschen und Religionsgemeinschaften symbolisiert werden. Von weither kommen Gläubige, um hier neue Kraft zu schöpfen. Wir treffen Mitglieder der Glaubensgemeinschaft aus Australien, Grossbritannien, Kanada und den USA. Die Sikhs tragen nicht nur den Turban, mit dem sie ihre Haarpracht bedecken. Diese belassen sie ungeschnitten, um ihren Respekt vor der göttlichen Schöpfung zu bekunden. Sie zeigen sich auf dem Tempelgelände auch mit weiteren Symbolen ihrer Religion.
Insbesondere wird ein – meist kleines, manchmal aber auch grösseres – Schwert getragen. Mit diesem bringen die Sikhs zum Ausdruck, dass ihnen ihr Glauben auferlegt, Arme, Schwache und Unschuldige zu verteidigen. Das als ungerecht empfundene hinduistische Kastensystem war ein wesentlicher Grund der Abkehr der Sikhs vom Hinduismus. Das Symbol des Schwerts ist daher zu einem wesentlichen Teil in diesem Zusammenhang zu sehen.
Angrenzend an den goldenen Tempel findet sich die Altstadt von Amritsar. In einigen Strassenzügen stehen noch die mehrere hundert Jahre alten, mit Schnitzereien verzierten Holzbauten. In den engen Gassen herrscht emsiges Treiben und Geschäften. Starke Gerüche aus den Abwasserkanälen gehören dazu. An sie haben wir uns mittlerweile bereits gewöhnt. Die meisten Handwerker und Dienstleister sind «im Schuss», andere bedürfen einer schöpferischen Pause.
Amritsar liegt nur ca. 35km von der indisch-pakistanischen Grenze entfernt. Eine Scheidelinie, die auch als eiserner Vorhang Asiens bezeichnet wird. Fussgänger und Privatverkehr schaffen es kaum über die Grenze. Lediglich eine Handvoll Lastwagen und ein einziger Zug pro Tag werden durchgelassen. Umso überraschender das Schauspiel, das der indische und pakistanische Grenzschutz jeden Tag bei der Wachablösung am Grenzposten Wagha bietet. Der Anlass zieht täglich tausende von Zuschauern, sowohl auf indischer wie auf pakistanischer Seite an. Rund um den Grenzposten wurde dazu gar eine stadionähnliche Anlage erstellt, in der eine Atmosphäre herrscht wie an einem Fussballspiel. Beide Seiten des Grenzwachtkorps werden von ihren Landsleuten lauthals angefeuert. Das mächtige Eisentor, das die Grenze zwischen beiden Staaten bildet, öffnet sich und die beiden Korps setzen sich mit Marschformationen voreinander in Szene. Höhepunkt ist ein Handschlag zwischen dem indischen und pakistanischen Kommandanten. Immerhin ein Lichtblick im Verhältnis dieser nach wie vor tiefverfeindeten Staaten.
Für uns geht’s von Amritsar per Bus weiter, hoch in die Ausläufer des Himalayas, nach Dharamsala. Die Stadt erstreckt sich über eine ganze Bergflanke hinweg. Im oberen Teil des Ortes residiert Dalai Lama seit seiner Flucht aus Tibet Anfang der 1960-iger Jahre. Rund um dessen Haupttempel hat sich die tibetische Exilgemeinde niedergelassen. Auch der Sitz des tibetischen Exil-Parlaments und der Exil-Verwaltung befindet sich hier. Bedenkt man, über welchen kulturellen Reichtum der Buddhismus und die Klöster im Tibet verfügten, ist es schon bedrückend zu sehen, mit welcher Nüchtern- und Bescheidenheit die tibetische Gemeinde hier zurecht zu kommen hat.
Morgen geht’s nun mit dem Bus weiter nach Shimla, in die Hauptstadt des Bundesstaates Himachal Pradesh. Von dort aus möchten wir versuchen, in’s abgeschiedene Sutlej-Tal vorzustossen und dem Himalaya noch etwas näher zu kommen.
25.10.2018
Was für ein Muskelkoloss, dem wir im Kanha-Nationalpark begegnen! Der Gaur-Bulle wiegt über eine Tonne und flösst gar den Parkrangern Respekt ein. Es soll schon zu Angriffen solcher Tiere auf die Geländefahrzeuge, die die Besucher durch den Park führen, gekommen sein. Die Gaurs – die asiatischen Bisons / Wisents – sind die grössten noch lebenden Vertreter der Gattung der Rinder. Die Kühe sind zwar etwas kleiner als die Bullen, aber auch ihnen will man nicht zu nahekommen.
Der Kanha-Natioanalpark liegt rund 150 km süd-östlich von Jabalpur. Er deckt eine Fläche von 2000 km2 ab, die zum grössten Teil aus Urwald besteht. Der indische Urwald hat hier nichts mit einem tropischen Dschungel zu tun. Er gleicht eher unseren Laubwäldern. Es erstaunt daher nicht, dass Hirsche seine hauptsächlichen Bewohner sind. In Arten, die sich allerdings von den unseren ziemlich unterscheiden: Das getupfte Chital (Axishirsch), der mächtige Sambar (Pferdehirsch) und der rar gewordene Barasingha (ein asiatischer Sumpfhirsch), der sich von Algen in den Gewässern ernährt. Nahe verwandt mit den Hirschen ist auch das «Blackbuck», die Hirschziegenantilope. Sie alle sind die Hauptnahrung für die 108 Tiger, die derzeit im Kanha-Park leben. Glücklicherweise zeigen die Bestrebungen, diese Population zu vergrössern, erste Erfolge. Aber auch die Hirsche haben sich organisiert. Sie gehen strategische Partnerschaften mit den Affen ein und halten sich möglichst in deren Nähe auf. Affen bemerken als erste das Herannahen der grossen Raubkatzen, schlagen frühzeitig Alarm und verhelfen den Hirschen so zu einem Fluchtvorsprung.
Die Geier auf dem Baum warten bereits auf Überreste, sollte die Flucht einmal nicht gelungen sein. Die seltenen Malabarhornvögel konferieren auf einem anderen Baum und der Hawk Eagle beobachtet uns genau, als wir ihn fotografieren. Wir haben Glück und sehen aus nächster Nähe äusserst scheue Wildhunde und Schakale. Nur der Tiger, der will sich nicht blicken lassen … auch nachdem wir seine Fussspuren geortet haben, will er sich partout nicht zeigen.
Mit dem Bus geht’s zurück von Kanha nach Jabalpur. Für die 150 km brauchen wir wiederum sechs Stunden. Die Strassen sind hier schlecht - Bond hätte keine Freude! Nicht bloss gerührt, sondern völlig durchgerüttelt und -geschüttelt erreichen wir das Ziel.
In der Stadt begegnen wir den Umzügen zu Ehren der Göttin Durga. Begleitet von «Guggenmusiken» und Tanz werden Statuen der Göttin am Ende des neuntägigen «Durga Puja»-Fests durch die Stadt zu nahen gelegenen Flüssen und Teichen getragen und gefahren und dort dem Wasser übergeben.
Welch immense spirituelle Bedeutung Wasser hat, zeigt sich auch in Bedaghat, wenig ausserhalb von Jabalpur. Die Nebenbecken beim Wasserfall des Flusses Narmada werden rege für Reinigungen und Gebete genutzt. Wenige hundert Meter nach dem Wasserfall fliesst die Narmada durch märchenhaft anmutende Formationen von weissem Marmor.
Wir werden nun von Jabalpur via New Dehli nach Amritsar im Nordwesten von Indien fliegen und dort als nächstes in die Kultur der Sikhs eintauchen.
19.10.2018
Von Mumbai kommend, erreichen wir nach 8 Stunden Zugfahrt den Bahnhof Burhanpur. Zwei Geleise, über die eine Fussgänger-Passerelle führt. Viel mehr gibt es nicht. Wir erinnern uns an das Buch «Mein langer Weg zurück» von Saroo Brierley. Genauso wird der Bahnhof darin beschrieben. An diesem Ort besteigt der kleine Saroo den Zug. Der Beginn seiner unfreiwilligen Reise, die ihn nach Kalkutta, dort in ein Waisenheim und schliesslich als Adoptivkind nach Australien bringen wird. Ein langer Weg bis er wieder zurück zu seinen Wurzeln findet.
Für uns ist es nicht ein «Weg zurück», sondern eine Reise zu einem sehr schönen und eindrücklichen Wiedersehen mit Kavya. Sie erwartet uns vor dem Bahnhof. Was für eine Freude, Kavya nach einem Jahr hier wieder zu treffen! Wir nehmen einen Bus und reisen zusammen weitere 2,5 Stunden nach Dedtalai, in das Dorf, wo sie im letzten Jahr gewohnt und gearbeitet hat. Wir durchfahren eine arme Region.
Dies ist bereits vom Bus aus ersichtlich. Die Leute leben einfach und meist von der Landwirtschaft. Es verkehren bedeutend mehr Ochsenkarren als Traktoren. Wasser ist jetzt, kurz nach dem Monsun im Fluss Tapti und in ein paar Speicherseen noch vorhanden. Der Wasserstand geht aber rasch zurück, so dass die Felder schon bald nicht mehr bewässert werden können. In der Region wohnen vorwiegend Angehörige der Ethnie der Korku. Der Stamm lebte ursprünglich in den dichten hiesigen Urwäldern, bevor diese fast gänzlich abgeholzt wurden.
In Dedtalai angekommen werden wir von Kavya’s Mitbewohnerin, Sam, herzlich begrüsst. Kavya und Sam (links, resp. rechts von jeweils Christian und Corinne) stehen beide am Ende eines 12-monatigen Freiwilligen-Einsatzes im Rahmen des Projekts «Youth for India». Wir hatten Kavya vor einem Jahr in Udaipur / Rajasthan kennen gelernt, wo sie sich damals, anlässlich ihrer Vorbereitung auf diesen Einsatz, aufhielt.
Kavya führt uns am nächsten Tag in das Nachbardorf von Dedtalai, Piri, wo sie sich während ihres Einsatzjahres in der Betreuung der Mütter vor der Geburt und in der Ernährung von Kindern engagiert hat. Sie zeigt uns das Community Health Center (Foto oben) wo sie täglich Gespräche mit Müttern vor und nach deren Geburt führte. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit war zudem die Betreuung einer Tagesstruktur für Kleinkinder. Zusammen mit ihren Kolleginnen (einerseits Angestellte des Gliedstaates Madhya Pradesh, anderseits Mitarbeiterinnen des NGO «Aga Khan Rural Foundation») versuchte sie möglichst viele Kinder im Vorschulalter zu motivieren, täglich ins Gesundheitszentrum zu kommen. Die meisten Kinder im Dorf leiden unter einer zu einseitigen Ernährung aus Reis, Soya und Linsen. Ziel ist es daher, den Kindern im Gesundheitszentrum regelmässig eine vollwertige Mahlzeit (mit Gemüse und Vitaminen) anzubieten. Der Wochen-Menuplan ist direkt an der Wand des Zentrums aufgemalt. Sie erzählt uns von den vielfältigen Bemühungen des Health Centers bei der Früherkennung und Bekämpfung von Unter- und Mangelernährung. Von den Erfolgen, die die Arbeit zeigt, aber auch von den Schwierigkeiten, die sich bspw. dann ergeben, wenn delikatere Themen – wie etwa die Empfängnisverhütung - angesprochen werden müssen.
Sam war in Daiyyat, einer anderen Nachbargemeinde von Dedtalai, als Lehrerin in der Grundschule tätig. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit sah sie darin, die Eltern der Kinder stärker an die Schule zu binden, um zu versuchen sicherzustellen, dass diese den Sinn der Ausbildung ihrer Kinder in gewisser Weise auch selber verinnerlichen.
Beide werden in den nächsten Tagen ihren Einsatz beenden und in das «ordentliche» Berufsleben zurückkehren. Kavya hat Psychologie und Sam IT-Engineering studiert. Dieses 12-monatige Voluntariat sei für sie v.a. auf der persönlich-menschlichen Ebene äusserst bereichernd gewesen, betonen beide übereinstimmend. Sich in diese «einfach» lebenden Menschen hineinzufühlen und zu -denken, eine Sprache zu finden, mit der man die Menschen erreichen konnte, sei anfangs eine grosse Herausforderung gewesen. Danach aber zu sehen, wie sie als «Fremde» mit Gastfreundschaft und Herzlichkeit überschüttet worden seien, habe sie sehr berührt.
Auch wir dürfen auf unseren Rundgängen durch die Dörfer die Offenheit und ungespielte Herzlichkeit dieser Leute erfahren. Wir werden in ihre aus Lehm gefertigten Häuser zum Tee eingeladen, sie wollen uns unbedingt auf eine Bootsfahrt auf dem Tapti mitnehmen und schliesslich bestehen die Frauen auch noch darauf, ihren schönen Kopfschmuck zu präsentieren.
Wir haben in der Tat unvergessliche Tage in Dedtalai und Umgebung verbringen dürfen. Ganz herzlichen Dank an Kavya und Sam, dass sie uns dieses Erlebnis jenseits der gewöhnlichen Touristenpfade ermöglicht haben.
15.10.2018
Der Flughafen Mumbai ist überraschend leer und ruhig als wir letzten Samstagabend dort landen. Samstag scheint auch in Indien nicht der Flugreisetag. Man ist entweder bereits angekommen oder noch nicht abgereist. Auf der Strasse hingegen, da finden wir die Leute.
Sowohl tags wie nachts. Nie scheint die Stadt zur Ruhe zu kommen. Rund um die Uhr hupen sich die Automobilisten ihre Daumen wund. Jeden Tag strömen zudem über drei Millionen Pendler in die Stadt. Diese droht dann endgültig, aus allen Nähten zu platzen. Vor Tempelanlagen und Moscheen wird lange Schlange gestanden, um Einlass zu erhalten. Wollen wir uns fotografieren, brauchen wir Glück, ansonsten sind wir hinter der Masse anderer verschwunden.
Das «alte» Bombay ist geprägt durch seine kolonialen Bauten im sog. indo-sarazenischen Stil, d.h. Architektur mit einem Stilgemisch aus europäischer Neugotik und indisch-islamischer Bautradition. Einzigartig ist v.a. der Hauptbahnhof «Chatrapati Shivaji Terminus» und das daneben liegende Gebäude der Hauptverwaltung der «Central Railway».
Kolonialgeschichte findet sich auch bei den «Sassoon Docks». Das Wahrzeichen der Stadt, der «Gateway of India», wurde 1911 als Triumphbogen zu Ehren des Besuchs des britischen Königs George V erbaut. Bei ihrem Rückzug aus Indien marschierten später die letzten englischen Truppen unter diesem Bogen hindurch aufs Schiff. Unmittelbar daneben liegt das Nobelhotel «Taj-Mahal». Der indische Industrielle J.N. Tata liess das luxuriöseste Hotel in der Stadt 1903 bauen, als Rache dafür, dass ihm der Zutritt in ein «europäisches» Hotel verweigert worden war. Was für eine Genugtuung wäre es wohl für diesen Herrn Tata erst gewesen, zu erfahren, dass «sein» Tata-Konzern vor ein paar Jahren gar die alte englische Nobel-Automobilmarke «Jaguar» übernahm?
Es ist heiss, die Schattenplätz sind begehrt. Das hindert jedoch hunderte von Indern nicht, am Sonntag im Zentralpark von Mumbay ihrem Hobby, dem Cricket-Spiel, zu frönen. Dies unter kundiger Beobachtung von Mitspielern und Fans.
26. 9. 2018
Wir haben uns entschlossen, nochmals für einen Monat nach Indien zu reisen. Einige Leserinnen und Leser mögen sich vielleicht erinnern, dass wir während unseres Indienaufenthalts letztes Jahr junge Leute getroffen haben, die sich im Fellowship-Programm «Youth for India» engagieren (vgl. dazu unter «2017/2018: von Baku bis Auckland, erster Teil», unmittelbar nach dem Blogeintrag vom 21.10.2107, den Beitrag: «Zwischenhalt – Youth for India im Sinn und Geist Mahatma Gandhis»). Kavya Rao, die wir für unseren Blog damals interviewt haben, lud uns vor einigen Wochen ein, sie zum Abschluss ihres Fellowship-Jahrs in Dedtalai (im Bundesstaat Madhya Pradesh, rund 100km nordöstlich von Burhanpur) besuchen zu kommen. Wir sind in solchen Fällen leicht zu überzeugen und haben diese Einladung daher sehr gerne angenommen! Wir sind sehr gespannt, was uns in Dedtalai erwartet, welche Erfahrungen Kavya im letzten Jahr gemacht hat und wie sie ihren Fellowship-Einsatz im Rückblick beurteilt. Wir werden am 13.10.2018 nach Mumbai fliegen und von dort nach Dedtalai weiterreisen. Wir haben geplant, danach weitere Gebiete Nordindiens zu besuchen. Welche, werden wir vor Ort entscheiden. Selbstverständlich soll es auch die eine oder andere rasante Tuk-tuk-Fahrt geben😊! Für den 15.11.2018 ist unsere Rückreise nach Europa vorgesehen.
Es freut uns natürlich sehr, wenn ihr uns über diesen Blog auf unserer Reise begleitet. In diesem Sinne bis bald!