2024: USA, Nationalparks, & Kansas City

8. April 2024 (zweiter Teil der Reise)

 

Wie schön, Mirko wiederzusehen! Kansas City freut sich mit uns. Die wunderbaren Farben, in denen sich die Stadt bei unserer Ankunft präsentiert, lassen jedenfalls darauf schliessen. Auch bei Tag ist der Blick auf das Stadtzentrum nicht ohne – sei es vom Tower des National World War One Museums oder aus Mirkos Wohnperspektive. Kansas City’s farbiges Antlitz erfreut einem auch jetzt. Die Stadt hat es uns sofort angetan. Faszinierend ist, wie die Metropole, als einstiges Tor zum Westen für die Siedler und dann als Eisenbahnknotenpunkt für die Landwirtschaft des Midwest den seitherigen Strukturwandel mit grossem Charme zu nutzen gewusst hat. Dies zeigt ein Gang durch West Bottoms, wo die ehemaligen Schlachthöfe und Lagerhallen nun vornehmlich als Kunst- und Fashionateliers sowie als Theater- und Musiklokale genutzt werden. Es lässt sich hier nicht nur tagsüber, sondern auch nachts bestens verweilen. Kansas City besticht in kultureller Hinsicht aber auch durch das Nelson Atkins Museum of Arts, das Kauffman Theater- und Konzerthaus sowie etliche weitere architektonische Perlen. Ein anderes Gesicht zeigt die Stadt in der Plaza Area. Hier findet man sich in Klein-Sevilla wieder. Vor rund hundert Jahren wurde damals auf grüner Wiese ein neues Vorstadt- und Geschäftszentrum im andalusischen Baustil erbaut. Nicht weit davon entfernt liegt auch der Grund für Mirkos Nordamerika-Aufenthalt. Mit dem Tram geht’s dann auf die andere Seite des Stadtzentrums an den River Market. Hier herrscht beinahe so emsiges Treiben wie auf einem italienischen Markt. Hinter dem Markt liegt der Missouri River. Heute flaniert man seinen Ufern entlang. Vor dem Bau der Eisenbahn stellten die auf dem Fluss verkehrenden Schiffe das wichtigste Verkehrsmittel für den stetig steigenden Siedlerstrom dar. Die Schiffshörner sind verklungen. Nicht dagegen die langgezogenen, tiefen Hupsignale der Diesellokomotiven. Sie sind in der Stadt allgegenwärtig. Denn, im Güterverkehr hat die Eisenbahn nach wie vor eine wichtige Funktion (in den USA werden 38% der Güter auf der Schiene transportiert; in der EU, im Vergleich dazu, lediglich 10%). Am Samstagnachmittag machen wir dann das, was in dieser Jahreszeit viele Amerikanerinnen und Amerikaner machen. Wir fahren zum Baseballstadion und schauen uns das Spiel zwischen den KC Royals und den Minnesota Twins an. Weiter geht es am nächsten Tag auf unsere Rundreise durch den Midwest und in den Südstaat Arkansas.

Zunächst geht unsere Fahrt in den Nordwesten Missouris und kurz durch den Bundesstaat Iowa. Unspektakuläre Ebenen und small town America. In Nebraska vorerst dasselbe. Südlich des Städtchens Grand Island gelangen wir an den South Platte River. Rund herum Farmen, die Mais anbauen … und dann entdecken wir, wonach wir gesucht haben: Die Kanadakraniche, die gelegentlich auch Sandhügelkraniche genannt werden. Gut getarnt nähren sie sich auf den abgeernteten Feldern von übriggebliebenen Maiskörnern. Hier, auf ein paar Quadratkilometern am South Platte River legen jeweils Ende März / Anfang April rund eine halbe Million dieser Kraniche (an die 80% der Weltpopulation dieser Art von Kranichen, so die Schätzung von Ornithologen) auf ihrem Flug vom Süden in den Norden eine zweiwöchige Pause ein. Die Migration von ihren Überwinterungsgebieten in Mexiko und im Süden der USA in ihre Sommerlebensräume in Kanada, Alaska und allenfalls gar Kamtschatka kostet Kraft. Daher ist die Stärkung am South Platte River für sie überlebenswichtig. So richtig geht das Spektakel kurz vor der Dämmerung los. Die Kraniche gruppieren sich auf den Feldern und fliegen dann in Staffeln von jeweils mehreren hunderten oder gar tausenden von Vögeln an ihre Übernachtungsplätze im seichten Wasser am Fluss, wo sie vor Kojoten und sonstigen Feinden geschützt sind. Diese Flugverbände vorüberziehen zu sehen und zu hören – ein einmaliges, erhabenes Erlebnis!

Für uns geht es südlich in den Bundesstaat Kansas, in das Tallgrass Prarie National Preserve bei Emporia. Im Reservat werden seit 1996 Bisons neu angesiedelt. Dies, nachdem die Tiere im Präriestaat lange zuvor ausgerottet worden waren. Das Schutzgebiet lässt sich gut durchwandern. Die gutmütig aussehenden, friedlich grasenden Kraftprotze können dem Vernehmen nach recht angriffig werden, wenn man ihnen zu nahe gerät. Wir ziehen es daher vor, ab und zu einen Umweg zu gehen.

 

Viereinhalb Autostunden weiter südlich – mittlerweile im Bundesstaat Oklahoma – begeben wir uns auf die Suche nach der Geschichte und allfälligen Spuren des grössten jemals im Gebiet der USA ansässigen Indianerstammes, der Cherokee Indianer. Was wir sehen und erfahren ist bedrückend. Tahlequah ist die Hauptstadt des heutigen Reservats der Cherokee. Die sogenannte Cherokee Nation verfügt über einen gewissen Autonomiestatus. Hier sind ein Parlament, eine Exekutive und eine Judikative mit eingeschränkten Kompetenzen tätig. Autos fahren nicht unter Oklahoma-, sondern unter Cherokee Nation-Nummernschildern. So weit, so gut. Nur, das Gebiet der heutigen Cherokee Nation gehörte gar nicht zum ursprünglichen Stammesland der Cherokee. Dieses lag weiter östlich im Gebiet der heutigen Bundesstaaten Georgia, Tennessee und North Carolina. Als dort Gold gefunden wurde und der Besiedelungsdruck zunahm, verfügte 1830 der damalige Präsident Jackson die Deportation der Cherokee. 16'000 Cherokees wurden von Soldaten aus ihren Stammgebieten verjagt und weit über 1’000 km weit in das Gebiet der heutigen Cherokee Nation getrieben. Der Trail of Tears – der Pfad der Tränen, der über einem Viertel der damaligen Cherokee Bevölkerung das Leben kostete, hatte traumatische Folgen für das Indianervolk. Dies wird deutlich, wenn man das Cherokee National Museum und das Cherokee National History Museum in Tahlequah besucht. Leider ist von der Cherokee-Kultur ansonsten kaum etwas übriggeblieben. Stattdessen verfügt Tahlequah über ein grosses Cherokee-Casino und Vinita (eine andere Stadt in der Cherokee Nation) zehrt ganz offensichtlich mehr von ihrer Lage an der Route 66 als von ihrem indianischen Kulturerbe. Vinita ist zwar nach wie vor ein Bahnkreuzungspunkt, aber der Bahnhof ist vor langer Zeit eingegangen.

Unsere Reise führt uns schliesslich in den Nordwesten des Bundesstaates Arkansas. In Bentonville hat die Gründerfamilie des dort ansässigen Detailhandelsgiganten Walmart Gutes getan und von den Stararchitekten Mosche Safdie und Frank Loyd Wright eine wunderbare Museumsanlage erstellen lassen. Das Crystal Bridges Museum verfügt über eine bemerkenswerte und höchst eindrückliche Sammlung amerikanischer bildender Kunst. Etwas südlicher liegt die Universitätsstadt Fayetteville. Hier haben einst Bill und Hillary Clinton als Professoren Jusstudentinnen und -studenten ausgebildet. Als Höhepunkt unseres Aufenthalts in Arkansas entpuppt sich der Besuch der Ozark Mountains. Nicht nur wegen des exponierten Blickes vom Whitaker Point. Ebenso eindrücklich ist das Erlebnis von unten. In einem Kanu resp. einem Kajak und in Gesellschaft von ein paar Flussschildkröten lassen wir uns mit grossem Vergnügen den Buffalo River, dem längsten nicht gestauten Fluss im Kernland der USA (ohne Alaska und Hawaii), hinuntertreiben.

Unserem Sohn sei (grossen!) Dank, haben wir diesen uns bisher unbekannten Teil der USA erkunden dürfen. Nie hätten wir gedacht, dass uns der gemeinhin als langweilig erachtete Midwest und auch Arkansas so viele positive Überraschungen, so viele bleibende Eindrücke und wunderbare Erlebnisse bringen würden! Thanks again, Mirko!

 

 

P.S. Auf unserer dreiwöchigen Reise durch zehn Bundesstaaten der USA haben wir kein einziges Mal eine rote «MAGA»-Mütze oder goldene Sneakers zu Gesicht bekommen. Sehr selten ein Schild am Strassenrand mit der Aufforderung, im November Trump zu wählen. Ausser auf Fox News kaum Fernsehpräsenz für den Mann mit der blonden Föhnfrisur. Besteht vielleicht doch noch Hoffnung?


27. März 2024 (erster Teil der Reise)

 

Auf Familienbesuch in den USA. Die erste Etappe führt uns in den Südwesten des Landes. In Ojaj, Kalifornien, werden wir von Jeanette – Schwester resp. Schwägerin – ihrem Ehemann Joel und deren Familie herzlich empfangen. Mit Jeanette und Joel geht es auf eine wunderbare Reise durch einige der schönsten und eindrücklichsten Nationalparks in diesem Teil der USA. Dabei stellt sich heraus, dass der März optimal ist, um diese Naturwunder zu besuchen. Die Temperaturen können hier schon in ein paar Wochen auf 35 bis 40 Grad Celsius klettern. Erkundungen und Wanderungen, wie sie jetzt noch möglich sind, wären dann wegen der Hitze undenkbar.

 

Durch die um diese Zeit noch blühende Mojave-Wüste hindurch, am Telescope Peak vorbei, steigt die Strasse auf rund 1'700 Meter über Meer, bevor sie in das vermeintliche Hochtal des Death Valley abfällt. «Vermeintlich», weil wir es beim Death Valley eher mit einem Tief- als mit einem Hochtal zu tun haben. Weite Teile des Talbodens liegen unter dem Meeresspiegel. Das Becken des Salzsees «Badwater Basin» zum Beispiel auf 85.5 Metern unter Meer. Einmalig, in welcher Vielfalt an Farben sich die Hügel und Canyons im und rund um das Death Valley präsentieren. In dessen karger Landschaft sind nur wenige Pflanzen auszumachen. Die Abendsonne sorgt dann aber für neue Bilder und Effekte in diesem magischen Tal.

 

Durch Nevada hindurch (für Las Vegas genügt uns ein Blick aus dem Auto heraus 😊) geht es weiter in den Bundesstaat Utah, in den Zion Nationalpark. Dieser besteht im Wesentlichen aus einem U-Tal, das durch den Virgin River geschaffen worden ist. Der Pfad, der sich durch den Wald im Talboden hochschlängelt, führt auf den Hügel «Angels Landing». Nichts für diejenigen, die mit Schwindel zu kämpfen haben. Denn weiter oben geht es über schmale Grate und an tiefen Abgründen vorbei. Im Fels verankerte Ketten bieten zumindest ein wenig Halt. Obschon es in den vergangenen Jahren zu einigen Abstürzen und leider auch zu Todesfällen gekommen ist, hat dies der Beliebtheit des Trails nicht geschadet. Um einen Ansturm zu vermeiden, darf ihn daher nur begehen, wer einen «Startplatz» zugelost erhalten hat. Wir haben Losglück und geniessen dieses – im wahrsten Sinne des Wortes – atemberaubende Erlebnis in vollen Zügen.

 

Auf den Grand Canyon, im Bundesstaat Arizona, treffen wir ein erstes Mal bei Marble Creek. Die Schlucht ist hier noch nicht allzu tief. Dies ändert sich bald danach. Die Wetterbedingungen könnten kaum angenehmer sein. Über Nacht holt uns dann allerdings der Winter ein. Der Rand des Canyons, der uns am Tag zuvor noch warm entgegenstrahlte, ist nun mit Schnee überzogen. Die Wolken haben es bis in den Canyon hineingeschafft. Unten brodelt das wilde Wasser des Colorado River. Dann gewaltige Flügelschläge. Zwei Kondore sind in den Baumwipfeln nicht weit von uns gelandet. Vor vierzig Jahren waren diese Riesen-Geier praktisch ausgestorben. Heute finden sich wieder etliche von ihnen im und rund um den Grand Canyon. Wie wenn die Flügelschläge dieser Vögel mit über drei Metern Flügelspannweite den Nebel vertrieben hätten, verbessert sich die Sicht und wir können – wenn auch bei eisigen Bedingungen – in den Canyon absteigen.

 

Schliesslich – zurück in Kalifornien – ein Besuch im Joshua Tree Nationalpark. Frühe weisse Siedler sahen in den charakteristischen Bäumen dieses Gebierts die biblische Gestalt des Propheten Josua – daher der Name «Joshua Tree». Sie sind nicht die einzigen Attraktionen. Yucca-Pflanzen und viele Arten von Kakteen faszinieren ebenso. Die Felsformationen geben den Eindruck, sie seien von Riesen geschaffen worden, die mit den einzelnen Brocken gespielt und sie dann willkürlich und ungeordnet hinterlassen hätten. Wie auch immer eine märchen- und zauberhafte Landschaft!

 

Voller Dankbarkeit für die tolle Reiseplanung und -führung haben wir Jeanette und Joel heute in Richtung Kansas City verlassen, wo wir unseren Sohn Mirko besuchen.