Die «Murals» von Belfast

Februar 2020

 

Man braucht nicht weit zu gehen, bis man in Belfast die «Murals», das heisst die Wandmalereien, für welche die Stadt bekannt ist, findet. Sie bringen Farbe auf die nach wie vor zahlreichen und mächtigen Mauern, die die katholischen Stadtgebiete von den protestantischen Quartieren abgrenzen. Sie prangen an Hausfassaden im Stadtzentrum und in den Vorstädten oder sind auch einfach auf Gartenmauren gemalt.

 

Der Nordirland-Konflikt (in der britischen Terminologie etwas gar verharmlosend «The Troubles» genannt) ist in Belfast nach wie vor sehr präsent. Die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen den britisch stämmigen Protestanten und den irisch-nationalistisch gesinnten Katholiken dauerten von 1969 bis zum Friedensabkommen («Karfreitagsabkommen») von 1998. Ein Grossteil der «Murals» erinnert denn auch an diese für Belfast und ganz Nordirland schwierige und prägende Zeit.

 

Das Karfreitagssabkommen hat glücklicherweise einen Versöhnungsprozess zwischen den Konfliktparteien in Gang setzen können. So werben auf der nebenan dargestellten Wandmalerei ehemalige politische – sowohl katholische wie auch protestantische – Gefangene gemeinsam für ihre Dienste als «Touristenführer» in die früheren Konfliktzonen der Stadt.


Das wohl berühmteste «Mural» befindet sich an der Falls Road dem ehemaligen Zentrum des katholischen, pro-irischen Widerstands gegen die britische Präsenz in Nordirland. Es zeigt Bobby Sands, IRA-Mitglied und wohl berühmtester Gefangener im Konflikt, der im Mai 1981 an den Folgen eines Hungerstreiks (zur Durchsetzung seiner Anerkennung als politischer Gefangener) in Haft verstarb. Dem Maze-Gefängnis, wo Sands sich zu Tode hungerte – auch «Long Kesh Internierungslager» genannt –, ist an der Falls Road eine grosse, gelbe Wandmalerei gewidmet. Weitere «Murals» auf katholischer Seite unterstützen deren «Prisoners of War», sie werben für die Stärkung des Gälischen in Nordirland, sie solidarisieren sich mit anderen Unabhängigkeitsbewegungen auf der Welt oder bringen sonstige global-politische Haltungen zum Ausdruck.

 

Die protestantische, pro-britische Seite drückt sich ebenso in Wandmalereien aus. Selbstverständlich dürfen an der Shankill Road (dem protestantischen Pendant zur Falls Road) die Fahnen des Vereinigten Königreichts nicht fehlen. Viele der pro-britischen «Murals» nehmen Bezug auf die Schlacht von 1690 am irischen Fluss Boyne, wo König William III von Oranien die irische Insel unter die protestantische Herrschaft der Engländer brachte. Auch die Schlacht an der Somme im ersten Weltkrieg erscheint auf verschiedenen Wandmalereien. An ihrem Gedenktag, jeweils am 1. Juli, halten radikale Protestanten ihre Orange-Paraden ab. Selbstverständlich ehren auch die Protestanten ihre Heroen und Kampforganisationen bildlich. Weil sich die katholische Seite mit den Palästinensern solidarisiert, unterstützt die andere Seite auf ihren Wandbildern selbstverständlich die Sache Israels. Wie militant das Klima einst war, zeigt sich an einer Musikschule im protestantischen Teil von South Belfast, wo ein Soldat symbolisch die Türe bewacht.

 

Gewisse Persönlichkeiten geniessen überkonfessionellen Heldenstatus: Etwa George Best, ehemaliger nordirischer Fussballer in Diensten von Manchester United und Weltfussballer 1968. Oder Alex «Hurricane» Higgins eine Snookerspiel-Legende und auch die nordirische Fussballnationalmannschaft.

 

Wandmalereien in Belfast gehen heute aber weit über den Bereich des Politischen hinaus. Insbesondere in der Innenstadt sind viele Häuserfassaden mit neuen «Murals» verziert worden. Sie bringen Farbe in die vorherrschenden Grautöne und lassen einen manchmal durchaus auch schmunzeln.

 

Die «Murals» in Belfast scheinen sich zu einer veritablen Touristenattraktion zu entwickeln. Es ist zu hoffen, dass auch dies hilft, frühere Konfliktsgrenzen zu überwinden und den Versöhnungsprozess voranzutreiben.

 

Wir reisen nun weiter, um unseren neu geborenen Grosssohn, Matteo Fionn, in Irland zu besuchen 😊.