"Von Baku bis Auckland"

Erster Teil: "Von Baku bis Colombo" 

Blog unserer Reise von Anfang September 2017 bis Mitte Februar 2018

Baku (Aserbaidschan)

11.9.2017

Nein, wir sind nicht in London gelandet, sondern haben, wie geplant, unsere Reise in Baku (Aserbaidschan) in Angriff genommen. Das Bild ist aber bezeichnend. Aserbaidschan versteht sich als Tor zum Westen. Man lebt den Islam … un po, ma non troppo … und ist so äusserst attraktiv für Touristen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Gesten Sonntag war Baku voll von in Bussen angereisten Ausflüglern aus dem Iran. Die Touristinnen im Hotel ...


... die anfangs noch brav ihr Tuch auf dem Kopf tragen, lassen es mit der Zeit nach hinten auf ihre Schultern rutschen …

Baku ist die Stadt der Flammen. Die Flame Towers in der Stadt machen klar, worauf Aserbaidschan seinen Wohlstand basiert … der Blick auf die unendlich vielen Öl- und Gasförderanlagen im Kaspischen Meer direkt vor Baku bestätigt dies. Damit zusammenhängend auch der «Burning Mountain», der Hügel aus dem Methangas strömt, das nie aufhört zu brennen. Nicht weit davon entfernet der Tempel des Zarathustra – hier bekommt Feuer doch auch noch eine spirituelle Bedeutung. Wider Erwarten ist der gegenwärtige Präsident Aserbaidschan’s, Ilham Aliyev, im öffentlichen Stadtbild kaum präsent. Dies ganz im Gegensatz zu seinem Vater, Heydar Alijev – erster Präsident von Aserbaidschan nach dem Zerfall der Sowjetunion, vorher u.a. Chef der Kommunistischen Partei der Aserbaidschanischen SSR und Mitglied des Politbüros der KPdSU. Es gibt kaum ein öffentliches Gebäude von Bedeutung, das nicht nach ihm benannt ist: Heydar Alijev International Airport, Heydar Alijev Cultural Center (von Zaha Hadid gebaut), Heydar Alijey Concert Hall … Insgesamt ist Baku eine sehr angenehme, friedliche Stadt, die mit ihrer Verbindung zwischen alt und neu durchaus einen gewissen Charme hat. Für uns ist sie jedenfalls ein optimales Tor zur weiteren Reise nach Osten …. morgen geht’s nun nach Turkmenistan.


Mary (Turkmenistan)

15.9.2017

Turkmenistan hat viele Gesichter und erscheint sehr farbenfroh. Bis auf die Hauptstadt Ashgabat...


Zu einem grossen Teil neu und fast ausschliesslich in importiertem weissem Marmor erbaut, wirkt Ashgabat unterkühlt und ziemlich blutleer. Die beiden bisherigen post-sowjetischen Präsidenten Nyyazow (Turkmenbashi - Führer der Turkmenen) und Gurbanguly haben die Stadt mit unzähligen Monumenten überzogen. Sie sollen die Turkmenisierung der Gesellschaft manifestieren und vor allem in eigener Sache glorifizieren (wir verschonen euch mit Fotos der zahlreichen Goldstatuen dazu). Leider fehlt es damit aber an Geld, um endlich die Ausgrabungen in Nisa - einer mutmasslichen Hochburg des Partherreichs - voranzutreiben. Äusserst sehenswert in Ashgabat ist das Teppichmuseum - nicht nur der charmanten Führung wegen :-) In Turkmenistan werden die berühmten Buchara-Teppiche hergestellt.

 

Ganz anders auf dem Land. Hier findet man die türk-asiatische Betriebsamkeit, die man erwartet und erhofft. Die Leute sind sehr zuvorkommend und äusserst gastfreundlich. Die Bäckerin legt für uns ein Brot in den Ofen. Ein besonderer Stolz Turkmenistans sind dessen Achal-Teke-Pferde, die zu einer der ältesten Pferderassen der Welt gezählt werden. Ebenfalls sehr verehrt werden die Alabai Hunde, die der Bewachung der Schafherden dienen. Dromedare hingegen werden fast ausschliesslich wegen deren Milch gehalten. Nach einer achtstündigen, holprigen aber ansonsten sehr angenehmen Nacht-Zugfahrt haben wir nun Mary im östlichen Zentral-Turkmenistan erreicht.

 


Buchara (Usbekistan)

18.9.2017

Merv in der Nähe von Mary war eine blühende Stadt. Das geistige und politische Zentrum des Seldschuken-Reichs, in dem die führenden Wissenschafter zur damaligen Zeit zusammenkamen … bis Ende des 12. Jahrhunderts Dschingis-Khan und seine Truppen alles zerstörten. Übrig liessen sie nur ganz wenige Gebäude. So das Mausoleum des letzten Seldschuken-Führers, Sultan Sandschar (1086 – 1157). Die Ruinen …. 


... eines weiteren noch vorhandenen Palasts zeigen immer noch das Loch, durch das Dschingis Khan’s Truppen eindrangen. Die Reste der enormen Stadtmauern sind leider unausgegraben geblieben (auch hier!).

Mary und Umgebung ist durch einen vom Amudarja-Fluss gespiesenen Bewässerungskanal sehr fruchtbar geworden. Angebaut wird insbesondere Baumwolle. Kaum hat man das bewässerte Gebiet aber verlassen, beginnt die Karakum-Wüste, die grösste Wüste Zentralasiens. Sie ist nicht eine reine Sandwüste, sondern ist durchzogen von kaum Wasser brauchenden, widerstandsfähigen, meist dornigen Büschen und Gestrüppen. Sie durchquert man auf dem Weg nach Buchara, das wir heute nach einem zeitaufwändigen Grenzübertritt von Turkmenistan nach Usbekistan erreicht haben.


Xiva (Usbekistan)

21.9.2017

Buchara wurde im Gegensatz zu Merv (vgl. letzter Blogeintrag) nach der Zerstörung durch Dschingis Khan wiederaufgebaut. Dies in einer Pracht, die einen nur staunen lässt. Man fühlt sich tatsächlich wie in tausend und einer Nacht. Es entstand ein Zentrum der Wissenschaft und Lehre, wovon die vielen mit wunderbaren Kachelmustern verzierten …


… Medresen (Koranschulen, in denen aber auch viele Naturwissenschaftler lehrten) zeugen. «Streben nach Wissen – das ist die Pflicht eines jeden Muslims und einer jeden Muslima» heisst es über dem Torbogen einer dieser Medresen. Wenn sich doch die heutigen Radikalislamisten nur etwas mehr auf diese aufgeklärte, weltoffene Vergangenheit des Islam zurückbesinnen würden…

Etwas bulliger daher kommt die Zitadelle (genannt «Ark»), die bis ins 20. Jahrhundert den lokalen Herrschern als Regierungssitz diente. Einige der Zisternen, die früher Buchara mit Wasser versorgten sind nach wie vor vorhanden. Sie dienen heute als Teiche … sind aber den Überlieferungen zufolge trotzdem um einiges sauberer als damals als man ihnen Trinkwasser entnahm. Besonderen Nervenkitzel bietet ein klandestiner Aufstieg auf den an sich geschlossenen Wasserturm aus sowjetischen Zeiten. Man bezahlt dem Wärter der naheliegenden Moschee ein Bakschisch und darf dann nach dem Eindunkeln die schon ziemlich angerostete Wendeltreppe hinaufsteigen. Belohnt wird man mit einem wunderbaren Blick auf die Altstadt von Buchara. Für Stadtabenteurer ein «Must» – Dank an Corinne’s Nichte Linda und ihren Ehemann Francesco für diesen Tipp :-)

 

Auch Xiva (450 km westlich von Buchara) begeistert. Etwas musealer zwar als die Altstadt von Buchara, aber mit ebenso vielen einzigartigen Kachelornamenten verziert. Eine intakte Stadtmauer umgibt die Altstadt. Xiva ist zudem die Heimat des Mathematikers Al-Choresmi (ca. 780 – 850). Ihm haben wir die Ziffer Null in unserem Rechensystem zu verdanken. Aus seinem latinisierten Namen wurde der Begriff des Algorithmus hergeleitet. Die usbekische Musikindustrie hat die märchenhafte Kulisse von Xiva selbstverständlich ebenfalls entdeckt und dreht ihre Videoclips. Morgen geht’s nun mit dem Nachtzug weiter nach Samarkand.


Taschkent (Usbekistan)

25.9.2017

Amir Timur (1336 – 1405) und sein Enkel Mirzo Ulugbek (1394 – 1449) haben Samarkand geprägt. Ersterer als Begründer des Reichs der Timuriden, das er während seiner Herrschaft über den grössten Teil Vorder- und Mittelasiens ausdehnte. Er erkor Samarkand zu dessen Hauptstadt. Ulugbek hingegen …


… war vor allem Wissenschafter. Er machte Samarkand zu einem führenden Zentrum für Astronomie. 1424 errichtete er ein Observatorium, von dem heute immer noch ein in den Steinboden gehauener Sextant mit einem Radius von 40m vorhanden ist. Mit diesem Instrument wurden über 1000 Fixsterne in einer Genauigkeit vermessen, die auch heute noch verblüfft. Der «Lehrstuhl für Astronomie» befand sich in Ulugbek’s Medrese am heutigen Registan-Platz. Später kamen dort weitere wundervoll verzierte Medresen hinzu. Auch heute sind die Schüler – wie man sieht – äusserst wissbegierig :-) Sehr sehenswert auch die «Gräberstadt» Schah-i-Sinda, die man über eine Treppe erreicht. Sie besteht aus einer Fülle von kachelgeschmückten Mausoleen aus dem 14./15. Jahrhundert. Durch den kulturellen Austausch entlang der Seidenstrasse gelangten früh auch chinesische Bilddarstellungen mitten in die arabisch-timuridischen Ornamente.

 

Taschkent bietet, wie erwartet, nicht viel mehr als ein paar Plattenbau-Zeitzeugen aus der sowjetischen Ära und einige Prunkbauten aus neuerer Zeit. Morgen geht’s nun weiter in’s Fergana-Tal. Von diesem in Ost-Usbekistan gelegenen Hochplateau wollen wir dann weiter nach Kirgistan.


Zwischenhalt "Usbekistan: Reisen wie damals"

Wisst ihr noch, damals Ende siebziger, Anfang achtziger Jahre? Am Abend setzte man sich in Bern in den Zug und zehn bis zwölf Stunden später erreichte man Florenz und danach Rom. Der Zug rüttelte und schüttelte, die Schlafintervalle daher kurz. An vielen Haltestellen - Arona, Rho, Milano Centrale, Bologna – gab es Zeit auszusteigen. Auf dem Bahnsteig ein Schwatz mit dem Schaffner oder anderen Zugsreisenden. Erst nach geraumer Zeit dann wieder der Pfiff des Zugführers und weiter ging’s. Diese Gemütlichkeit haben wir in Zeiten von Taktfahrplan und Freccia Rossa verloren … in Usbekistan findet man sie wieder. Zugfahrten in Usbekistan sind wie damals. Rasch gewinnt man neue Freunde, wird in andere Abteile zum Essen und zum Trinken eingeladen, man verständigt sich mit den paar Wortfetzen, die man kennt oder aufgeschnappt hat und ansonsten mit Händen und Füssen. Zu meinen, ein Vierer-Schlafwagenabteil sei auf vier Reisende beschränkt, ist selbstverständlich ein Irrtum. Man teilt das Abteil mit einem usbekischen Paar, das nebst seinen beiden Kleinkindern wohl auch mindestens die Hälfte seines Hausrates mitgebracht hat. Halte an einem Bahnhof in der Nacht dauern mindestens dreissig Minuten. Genügend Zeit, um mit dem halben Zug in Kontakt zu kommen. Auch der Preis der Fahrkarte erinnert an früher. Eine zwölfstündige Fahrt im Schlafwagen kostet kaum zehn Franken. Mit ein bisschen Glück trifft man gar Mitglieder der usbekischen Fussballnationalmannschaft im Zug …. Nun, so ganz still steht die Zeit in Usbekistan allerdings doch nicht, denn es gibt den Afrosiyob. Ein von den Spaniern gebauter Talgo-TGV, der die Strecke Samarkand – Taschkent in zwei, statt in dreieinhalb Stunden zurücklegt. Glücklicherweise fährt er nur einmal pro Tag und ist auf lange Zeit hinaus ausgebucht. Man darf daher noch ein bisschen weiter von vergangenen Zeiten träumen…



Osh (Kirgistan)

29.9.2017

Das Ferganatal zwischen Kokand und Andijon ist eine der am dichtesten besiedelten Regionen Usbekistans. Es ist weniger ein Tal als vielmehr ein Hochplateau, sehr fruchtbar aber auch sehr industrialisiert. An einem der Hauptstränge der Seidenstrasse gelegen, ist die Seidenverarbeitung nach wie vor sehr präsent. In Rishtan dominiert das Keramikhandwerk. Spektakulär …


… ist auch die Anfahrt in das Ferganatal. Von Taschkent aus geht es entweder mit dem Auto über den knapp 2300m hohen Kamchiq-Pass. Wir haben den Zug genommen, der das Tal durch einen erst 2016 fertig gestellten 20km langen Tunnel erreicht. Das Ferganatal ist touristisch noch nicht sehr erschlossen. Ausländer haben eher Seltenheitswert. So wurden wir von einem Lehrer in Kokand von der Strasse weg eingeladen, eine Schulstunde in seiner Englischklasse zu verbringen. Besondere Künstler – in ganz Usbekistan – sind übrigens auch die Bäcker. Gestern haben wir nun die Grenze nach Osh (Kirgistan) überquert und warten nun auf einen 4x4, der uns durch das zentrale Bergland Kirgistans mitnimmt. Der Wintereinbruch steht in den höher gelegenen Gebieten bevor. Nachdem es heute in Osh - zum ersten Mal auf unserer Reise – regnet, hoffen wir, dass es weiter oben nicht bereits schneit.


Kochkor (Kirgistan)

2.10.2017

Wir hätten es fast geschafft! Von Jalalabad her durch das Tal, dann die schmale Strasse die Bergflanke hoch. Ein paar hundert Meter vor dem Pass auf 3000 Meter, mussten wir doch kapitulieren. Zwar war ein Schaufelbagger vor Ort, um die Strasse freizuräumen. Allerdings war dessen Arbeit eher dürftig …


Unser Van – an sich schon ein 4x4, aber viel zu tiefliegend für diese Verhältnisse – blieb dauernd in den Baggerspuren stecken und musste freigeschaufelt werden. Gleich erging es den anderen Autos, die den Aufstieg ebenfalls versuchten. Dann, wenige hundert Meter vor dem Pass gab auch der Schaufelbagger seinen Geist auf und steckte vor einer 2-Meter Schneewand fest. Dem Konvoi blieb nichts anderes übrig als einen Wendeplatz freizuschaufeln und zu drehen. Für uns hiess dies wieder vier Stunden Autofahrt zurück nach Jalalabad. Anderen erging es nicht besser, etwa dem Lastwagenchauffeur, der mit seinem Gefährt bereits zwei Tage auf dem Pass feststeckte oder dem Schafhirten, der sich beeilen musste, seine Riesen-Herde von geschätzten tausend Schafen vor einem weiteren Schneefall ins Tal zu bringen.

 

Am nächsten Tag haben wir es dann, auf langen Umwegen, unter Umfahrung der hohen Pässe, doch noch nach Kochkor geschafft. Die Landschaft in Kirgistan ist einmalig schön, steppenmässige Hochebenen, umrandet von Vier- bis Fünftausender (und teilweise auch höheren Gipfeln). Die Bergketten mögen einem ab und zu an die Schweiz erinnern. Beim Anblick der weidenden Pferde-, Rinder- und Schafherden und ihren Hirten hoch zu Ross wird dieser zeitweilige Eindruck aber rasch wieder korrigiert.


Karakol (Kirgistan)

7.10.2017

Der Issyk Kul-See befindet sich auf 1800 m ü.M. und ist mit einer Länge von 180 km und einer Breite von 60 km (nach dem Titicacasee) der zweitgrösste Bergsee der Welt. Er wird auch der warme See genannt, weil er als einziger der Seen in Kirgistan im Winter nicht gefriert. Ein (kurzer) Sprung ins Wasser ….


 … ergibt allerdings, dass zumindest um diese Jahreszeit von «warm» keine Rede mehr sein kann! Äusserst angenehm dagegen die Übernachtung in einer Jurte am Rande des Sees. Die Felle und Filzdecken, mit denen die Jurte ausgekleidet ist, halten den bissigen Wind bestens ab. Das Jurtendorf dient heute ausschliesslich touristischen Zwecken. Mit den (Ende Saison nur noch wenigen) Gästen trifft man sich in der Gemeinschaftsjurte zum Essen.

 

Kirgistan ist ein Paradies für Wanderer und Trekker. Im Oktober sind allerdings die höheren Gebiete bereits verschneit und zu kalt. Aber auch in tieferen Lagen gibt es viele einmalige Touren. Wir haben uns für eine 2-Tages-Wanderung von Karakol nach Altyn Arashan entschieden. Die Alp liegt auf 2500m ü.M. und verfügt über ein Guest House, das von einer sehr herzlichen Familie geführt wird. Altyn Arashan lockt zudem mit seiner Thermalquelle. Herrlich, nach einem Tagesmarsch eine Hotpool-Kabine zu beziehen und sich im warmen, schwefligen Wasser zu entspannen. Sehr sehenswert auf der Südseite des Issyk Kul-Sees ist auch das Skazka-Tal (übersetzt, das Märchental).

 

Morgen versuchen wir nun über den Karakara-Pass nach Kasachstan zu gelangen. Der Grenzübergang schliesst, wenn zu viel Schnee liegt – wir hoffen, dass wir es noch schaffen werden.


Zwischenhalt "(Teilweise) Überraschendes Zeitverständnis in Zentralasien"

Die Schulkinder sind es, die in Zentralasien als erste Leben in den neuen Tag bringen. Früh müssen bereits die Kleinsten aus den Federn. Auch für den vierjährigen Kindergärtler, bei dessen Familie wir in Kochkor (Kirgistan) übernachteten, gab es kein Pardon. Auch er hatte um halb acht das Haus zu verlassen, um um acht Uhr in seiner Klasse zu sein. Waren er und seine Geschwister gegangen, kehrte die grosse Ruhe zurück und es lief vorerst gar nichts mehr. Erst gegen neun Uhr erhoben sich langsam die Eltern – ihr Arbeitstag beginnt nicht vor zehn.

 

Nicht nur in Kochkor, sondern in ganz Zentralasien ist es in der ersten Hälfte des Morgens äusserst ruhig. Von Berufsverkehr ist vor zehn kaum etwas zu bemerken. Man nimmt sich Zeit und alle – ausser die Schülerinnen und Schüler – gehen den Tag langsam und gemächlich an. Eine Gelassenheit, die sich in vielerlei Hinsicht durch den ganzen Tag hindurchzieht. Etwa beim Warten bis sich genügend Personen eingefunden haben, um das Sammeltaxi (Marschrutka) für eine bestimmte Destination zu füllen. Sind die Personen endlich da und der Fahrer an sich bereit loszufahren, kommt es einer älteren Dame in den Sinn, dass sie doch noch auf die Toilette sollte. Die übrigen Fahrgäste warten geduldig, bis sie zwanzig Minuten später erleichtert zurückkommt. Ähnlich in Turkmenistan als der Fahrer auf einer engen Strasse im entgegenkommenden Fahrzeug einen ehemaligen Militärkollegen entdeckt. Die beiden steigen aus, umarmen sich und beginnen in Erinnerungen zu schwelgen. Es stört sie nicht, dass sie mit ihren Fahrzeugen die Strasse blockieren und auf beiden Seiten die wartenden Fahrzeuge immer zahlreicher werden. Sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen … und, erstaunlicherweise, auch die wartenden Fahrer haben absolut nichts gegen diesen Schwatz einzuwenden und warten geduldig bis sich die beiden wieder verabschiedet haben.

 

Zeit ist relativ und scheint genügend vorhanden zu sein. Eine Erkenntnis, die sich ja oft auch andernorts auf Reisen ergibt und die man – vom westlichen Arbeitsalltag herkommend – so wohltuend empfindet. Umso überraschender daher die Bedeutung von Pünktlichkeit in Zentralasien. Sie lässt einem gar als Schweizer alt aussehen. Wir, die wir stets peinlich darauf achten, uns zur vereinbarten Zeit einzufinden, mussten mehrere Male einen Rüffel einstecken … bis wir endlich realisierten, dass es nicht reicht, genau zur Zeit vor Ort zu sein. Die klare Erwartung ist, dass man eine halbe bis dreiviertel Stunden vorher erscheint. Nichts von quard d’heure romand oder notorischer mediterraner Verspätung. Obschon wir mit dem Fahrer ausdrücklich um neun Uhr abgemacht haben, wird dieser nervös als wir um 08.15 noch nicht erschienen sind, kommt ins Hotel und poltert an unsere Zimmertür. So geht das in Zentralasien.

 

Vieles in Zentralasien erscheint auch zeitlos. Stellvertretend dafür die alten sowjetischen Fahrzeuge, die immer noch rollen und rollen und rollen … und es auch dann noch über Stock und Stein schaffen, wenn es neuere 4x4 längst aufgegeben haben.



Almaty (Kasachstan)

12.10.2017

Almaty, die frühere Hauptstadt von Kasachstan, ist die Stadt der Äpfel (Alma heisst auf kasachisch der Apfel). Stolz sind die Almater insbesondere auf ihren «Aport»-Apfel, der nirgendwo sonst so gross und saftig wachsen soll wie hier. Unmittelbar hinter der Stadt …


… erheben sich die Berge, die bereits nach zwei, drei dutzend Kilometern vier- bis viereinhalbtausend Meter in die Höhe ragen. Auf den ersten Blick wird Almaty durch die alten sowjetischen Gebäude geprägt, wie etwa das Hotel Kasachstan, dessen Krone in der Nacht beleuchtet wird. Mit der Zeit entdeckt man den Charme der Stadt und findet die Orte, die zum Verweilen und Geniessen einladen. Bestens organisiert und strukturiert ist der Fleischmarkt mit einer strikten Trennung des Verkaufs von Rinds-, Lamm-, Pferde- und Schweinefleisch.

 

Sehr eindrücklich war zuvor die Grenzüberquerung von Kirgistan nach Kasachstan. Ein ziemlich einsamer Grenzposten. Auf der Anfahrt treffen wir Marie-Claire und Markus. Hut ab, sie haben die ganze Strecke von der Schweiz her mit dem Fahrrad geschafft – und das in unserem Alter :-). Auf kasachischer Seite dann das Dorf Kegen am Fusse des Tian Shan Gebirges, das die Grenze zu China bildet.

 

Damit geht die «Stan-Staaten»-Etappe unserer Reise leider bereits zu Ende. Eine wunderbare Zeit mit äusserst tollen menschlichen Begegnungen, eindrücklichsten Landschaften und – insbesondere in Usbekistan – einem Kulturerbe, das begeistert und fasziniert. Das Reisen hat sich als sehr einfach erwiesen. Die Leute sind äusserst zuvorkommend und hilfsbereit. Nie auch nur die Spur einer Zurückhaltung oder gar Feindseligkeit uns «Westlern» gegenüber, ganz im Gegenteil! Morgen fliegen wir nun nach Indien. Wir sind gespannt, welche Erlebnisse uns dort erwarten.


Jodhpur (Indien)

18.10.2017

Der Yogi im Tuc Tuc, dahinter das UBER-Taxi. Faszinierend, wie in Indien unterschiedlichste Welten aufeinander treffen und in Gegensätzen gelebt wird, wie wohl in kaum einem anderen Land. Neustädte mit modernen Glasbauten und smarten Angestellten neben Altstadt-Märkten mit einem Treiben und Gebaren und Gerüchen in der Luft, die glauben lassen, die Zeit sei vor Jahrhunderten stehen geblieben. Es braucht ein paar Tage…


…, bis man sich an den pulsierenden Lebensrythmus gewöhnt hat. Auf den Strassen herrscht ein permanentes Chaos … und doch scheint es kaum je Unfälle zu geben. Für ein paar Meter Fussmarsch bedarf es einer Unmenge Zeit, weil an jeder Ecke jemand das Gespräch sucht. Zur Gegensätzlichkeit in Indien gehört auch, dass Idylle und Tristesse sehr nahe zusammen liegen können. Ein Kameraschwenker genügt und rasch wird der Eindruck von Harmonie durch Nachdenklichkeit ersetzt. Und dennoch zieht einem dieses Land in den Bann. Die starken Bilder, Geräusche und Gerüche, gepaart mit einer kaum je nachlassenden Hitze, versetzen auch uns alte, nüchterne 60-jährige teilweise in einen etwas trancenmässigen Zustand.

 

Agra, Jaipur und Jodhpur werden durch viele Forts, Paläste und Mausoleen aus der Mogul-Zeit geprägt. Hier knüpfen wir an die Geschichte an, der wir in Usbekistan begegnet sind. Denn Babur, der das Mogulenreich in Indien begründete, war Timuride und ein Nachkomme von Ulugbek (vgl. Blogbeitrag vom 25.9.2017). Jaipur wird die rosarote Stadt genannt. Der pyramidenförmige Hawa Mahal (Palast des Windes) ist eines ihrer wichtigsten Wahrzeichen. Etwas ausserhalb liegen das Amber-Fort und der Wasserpalast. In Jaipur treffen auch wir den herzlichen, liebenswürdigen R.K. Sharma, den Bekannten eines früheren Arbeitskollegen. Jodhpur ist die blaue Stadt. Sie wird durch das Mehrangarh-Fort dominiert. In Agra steht bekanntlich der wunderbare Taj Mahal. Gar nicht einfach, Fotos von ihm zu schiessen, ohne ebenfalls tausende Besucher mit auf dem Bild zu haben. Morgen geht’s mit dem Bus weiter nach Udaipur.


Udaipur (Indien)

21.10.2017

Happy Diwali! So wird man derzeit in ganz Indien begrüsst. Diwali ist eines der bedeutenden hinduistischen Feste. Ein Freuden- und Lichterfest, mit unserer Weihnacht vergleichbar. Die Festivitäten …


… haben vorgestern begonnen und dauern insgesamt fünf Tage. Abend für Abend werden Kerzen angezündet und es steigen Feuerwerke und Fackeln in den Nachthimmel. Dies begleitet durch ohrenbetäubenden Lärm von Knallfröschen. Diwali ist auch das Fest der Geschenke. In den Einkaufsstrassen herrscht ein noch dichteres Gedränge als sonst schon. Frauen erhalten neue Saris. Sie werden bei ihrer Wahl von den Verkäufern und Familienmitgliedern bestens beraten. Die Kinder ziehen mit Kerzen durch die Strassen und werden von den Ladenbesitzern mit Süssigkeiten beschenkt. Es finden überall kleine und grosse Prozessionen statt. Vor den wichtigen Tempeln stehen die Leute Schlange und warten mit stoischer Ruhe darauf, Einlass zu erhalten. Andere verrichten ihre Gebete und Zeremonien in den unzähligen kleineren Tempeln.

 

Wir feiern Diwali in Udaipur. Eine wunderbar gelegene Stadt an vor langer Zeit künstlich angelegten Seen, umgeben von Hügeln. Etwas höher als die umliegenden Gebiete und daher auch ein bisschen kühler. In der Diwali-Zeit entsprechend ein beliebter Ferien- und Erholungsort für die Inder aus Nachbarbundesstaaten wie Gujarat oder Madhya Pradesch. Morgen geht es für uns weiter nach Hyderabad in Zentralindien, von wo aus wir den Bundesstaat Karnataka erkunden wollen. Wegen Diwali sind alle Fernzüge ausgebucht, mit grossem Glück haben wir noch Plätze für einen Flug via Mumbai organisieren können.


Zwischenhalt - «Youth for India» im Sinn und Geist Mahatma Gandhis

Wir begegnen der aufgestellten und lebensfreudigen Kavya Rao an einer Diwali-Party (vgl. Blogeintrag vom 21.10.2017) auf der Dachterasse unseres Hotels in Udaipur. Sie ist ebenfalls Gast im Hotel und, wie sich zeigt, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen auf Diwali-Urlaub. Wir kommen vertiefter ins Gespräch. Sie stammt aus der Grossstadt Hyderabad und erzählt uns, dass sie sich für einen Einsatz bei «Youth for India» entschieden habe und demnächst im Rahmen dieses Unterstützungsprogramms für ein Jahr auf das Land ziehen werde, um in einer dörflichen Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten. Das lässt uns aufhorchen. Wer schon einmal in Indien über Land gereist ist, weiss was das bedeutet. Ein Jahr in grosser Abgeschiedenheit leben, ein Jahr lang mit grössten Entbehrungen zurechtkommen und die meisten Annehmlichkeiten der Zivilisation hinter sich lassen. Wir wollen daher genauer wissen, um was es bei «Youth for India» geht und was die Motivation junger Leute ist, in diesem Projekt mitzumachen.

 

«Youth for India» wurde 2011 lanciert. Das Programm wird durch die State Bank of India (die grösste indische Bank) finanziert und in Zusammenarbeit mit wichtigen NGOs des Landes betrieben. Sein Hauptziel ist, die Wirtschaftsstrukturen und Lebensumstände der ländlichen Gemeinschaften zu verbessern. Dies, um der in Indien nach wie vor bestehenden enormen Landflucht (mit all den Folgeproblemen für die Städte) entgegenzuwirken. Gleichzeitig will das Projekt das gegenseitige Verständnis zwischen der Stadt- und Landbevölkerung durch die Förderung des direkten Kontakts zwischen den beiden Bevölkerungssegmenten verbessern. In den Worten von www.youthforindia.org geht es darum, einen Rahmen zu schaffen, «for India's bright young minds to join hands with rural communities, empathise with their struggles and connect with their aspirations». In einem Auswahlverfahren werden geeignete Teilnehmerinnen und Teilnehmer («Fellows») ausgewählt. Sie dürfen nicht jünger als 21 und nicht älter als 32 sein und müssen über einen Universitätsabschluss oder über einen Abschluss einer anderen höheren Bildungsstätte verfügen. Im Verlaufe ihrer Vorbereitung auf den Einsatz entscheiden sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, in welchem Fachbereich sie in dem ihnen zugewiesenen «Einsatzdorf» ihre Beratungs- und Aufklärungsarbeit leisten möchten. Zur Auswahl stehen u.a.: Ausbildungsthemen, Ernährungsfragen, Gesundheitswesen, Umweltschutz, Bewässerungsfragen, Gender-Thematik, alternative Energien und traditionelles Kunsthandwerk.

 

Kavya, die mittlerweile ihre Vorbereitung als Fellow abgeschlossen hat und vor ein paar Tagen in ihr «Einsatzdorf» im Bundesstaat Madhya Pradesh gereist ist, hat sich bereit erklärt, uns ein paar Fragen zu ihrer Motivation zum Mitmachen im Programm, ihrer Tätigkeit und ihren Erwartungen zu beantworten. Hier unser Interview mit Kavya Rao:

 

Kavya, may we start by asking you to briefly describe who you are and what you have done professionally so far?

 

Namaste! I am a Psychologist with 4 years of experience in Teaching and counselling various age groups for Oakridge International School and Seed International. Working in this sector not only gave me an enormous satisfaction but also helped me to gain an insight in my personal life. I had an opportunity to conduct various awareness programs during my work tenure and was awarded as Star Teacher for six times by my organization for academic and social service excellence.

Growing up in a military background I was always inclined towards adventure hence completed my Basic Mountaineering Course from Jawahar Institute of Mountaineering before joining this fellowship.

 

You have applied and been accepted as a fellow for « Youth for India ». What was your motivation to join the fellowship program?

 

I was highly motivated by Mahatma Gandhi’s concepts of Rural India, as quoted by him If the village perishes India will perish too. India will be no more India. Her own mission in the world will get lost. The revival of the village is possible only when it is no more exploited”. This particular thought has left a huge impact on me and instigated me to do something for the rural community.

Living in urban communities somewhere we don’t have the access to what goes through rural India, lack of awareness and having a very little knowledge on rural communities makes me curious to introspect more and contribute my share of learning for them.

 

Your involvement in the program will last 13 months. When did you start the program, what have you done so far, what lies ahead of you?

 

My training commenced from the 2nd of October which included two schedules of orientation one by the SBI FOUNDATION and the other by AGA KHAN RURAL SUPPORT PROGRAM INDIA in which we were given a brief outline of how life in a village will be and what are the do’s and don’ts to be followed in a village. So far I went through the total work structure of our partner NGO and the various projects undertaken by them to shortlist on my project area.

 

Have you already chosen the program area you would like to focus on during your fellowship? If yes, what is it?

 

 Yes, I have selected to work with Nutritional Health and Maternal Care during my course of fellowship.

 

Can you describe in a few words, how your daily work in the rural community looks like?

 

My initial task would be to identify the loopholes in the system, collect data, interview all the stakeholders and interact with as many community members as possible to get familiar with the surroundings.

 

What are your expectations with respect to achievements during the 13 months program and with respect to the longer term effects of your involvement?

 

Right now , I will be entering village with an open mind , my primary focus would be on understanding their need and do something keeping the same in mind , Honestly I have not kept success and failures in mind , I want to do some good work so that majority of them are benefitted and I look forward to learn equally from them.

 

You come from an urban background. Living in a remote rural area in the coming months with certainly less comfort and conveniencies will be a very different life. How do you feel about this?

 

I am very excited about how life at a village will be, in fact I believe very few are blessed to be a part of such an opportunity, I am highly optimistic about what happens during rest of the year and look forward to cherish each and every moment spent with them.

 

Would you like to add anything?

 

Thank you very much for taking your time out to understand our work , I look forward to deliver my best to the community and urge everyone else also to take out sometime to work towards those who are in real need.

 

Kavya’s Worten gibt es nichts beizufügen, ausser dass wir ihr für ihren äusserst lobenswerten Einsatz viel Kraft, Befriedigung und Anerkennung wünschen. Diese Art von Solidarität über soziale, sprachliche, religiöse und geographische Grenzen und Stadt/Land-Gräben hinweg, ist für ein Land wie Indien mit all seinen inneren Spannungen und Gegensätzlichkeiten überlebensnotwendig. Mehr davon täte aber mit Sicherheit auch anderen Ländern gut.

 

(Unten Fotos von Kavya Rao und dem Dorf in Madhya Pradesh, in dem sie in den kommenden 12 Monaten ihren «Youth for India»-Einsatz leisten wird)


Hampi (Indien)

25.10.2017

Von Mitte des 14. bis Mitte des 16. Jahrhunderts war Hampi die Hauptstadt des mächtigen Hindureichs Vijayanagar, das sich über ganz Südindien erstreckte. Angrenzende muslemische Sultanate besiegten Vijayanagar in einer Schlacht im Jahre 1565. Seitdem ist Hampi eine Ruinenstadt. In ihrer Blütezeit …


… bedeckte die Stadt eine Gesamtfläche von 26 km2. Entsprechend liegen heute die Ruinen zum Teil weit auseinander. Auf dem Gelände befindet sich ein kleines Dorf, in dem rund 2000 Personen leben, die den Touristen Unterkünfte, Restauration und Guiding-Dienst anbieten. Das traditionelle Hampi wird von den Hindus nach wie vor als heilige Stätte verehrt, was u.a. bedeutet, dass der Alkoholausschank auch im heute bewohnten Dorf strikte untersagt ist.

 

Hampi liegt in einem mit gewaltigen Findlingen übersäten Gebiet. Aus diesen Felsbrocken wurden Skulpturen gehauen. Die Gottheit Ganesh etwa wurde aus einem einzigen Stück geformt. Mit einer speziellen Technik spaltete man die Quader, um daraus Platten, Säulen etc. für die vielen Tempel und Paläste herstellen zu können. Diese ihrerseits wurden mit feinster Steinmetzarbeit reich verziert. Herausragend ist ein in Stein gemeisselter Tempelwagen im Haupttempel, der der Gottheit Vishnu gewidmet ist.

 

Welch Kontrast zwischen dem gemächlichen Leben in Hampi und der Hektik in der 8 Millionen Metropole Hyderabad, die wir vorher besuchten. Hier die Tradition, dort das moderne Indien, das pulsiert, wo Hochstrassen und Schnellbahnen gebaut werden, wo eine Luft herrscht, die kaum atembar ist. Auch draussen auf dem Stadtsee, bei einer der grössten Buddah Statuen der Welt, sind die Vibrationen noch spürbar. Für die grosse muslemische Bevölkerung von Hyderabad stellt die Charminar-Moschee ein wichtiges geistiges Zentrum dar.


Kottayam (Indien)

31.10.2017

Die Backwaters in Kerala, dem Gliedstaat im Südwesten Indiens, sind eine Welt für sich. Ihre gleich hinter der Meeresküste gelegenen unzähligen Lagunen, Seen, Flüsse und Kanäle erstrecken sich über eine Gesamtlänge von rund 150 Kilometern und eine Breite von ca. 30 Kilometern. Mehrheitlich sind es Süsswasser-Gewässer. Ein wichtiger Zweck des Kanalsystems …


… ist auch die Bewässerung der Reisfelder, die vielenorts direkt neben den Kanälen liegen. Wir haben die Backwaters in den vergangenen Tagen mit einem Hausboot durchkreuzt und wurden dabei von unserer herzlichen Crew bestens umsorgt. Das Leben findet auf und am Wasser statt. Tierherden werden zu Wasser gehütet … Kirchen werden per Schiff erreicht, Parteiversammlungen ebenfalls (Kerala hat einen relativ geringen Hindu-Anteil an der Gesamtbevölkerung, Christen und Moslems bilden starke Bevölkerungsgruppen von je etwa 20%; auch politisch tickt Kerala anders als das übrige Indien. Die in Dehli regierende Hindupartei BJP ist hier chancenlos, die kommunistische Partei hat seit Langem das Sagen).

 

Vorher von Mysore (sehr schöner Mahraja-Palast, mit imposanten Fest- und Bankettsälen) herkommend, haben wir in Calicut, im Norden von Kerala, den Strand besucht, an dem Vasco da Gama 1498 – nach der Umsegelung Afrikas – in Indien landete. Bei der Jugend Calicuts, die sich am Sonntagmorgen am Strand trifft, steht nicht mehr Vasco da Gama, sondern ein anderer Portugiese im Mittelpunkt: Cristiano Ronaldo ist ihr heutiges Idol. Mit dem Alleppey-Express (Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen 50 und 60 Stundenkilometer) ratterten wir danach in den Süden. Morgen geht’s nun in die Berge (West Ghats), wo wir nochmal ein anderes Gesicht von Kerala zu sehen bekommen werden.


Kanchipuram (Indien)

7.11.2017

Nach den schwülen, drückenden Tagen an der Küste von Kerala etwas Erholung im wesentlich kühleren Hügelgebiet von Munnar, herrlich! Das im Grenzgebiet zwischen den Bundesstaaten Kerala und Tamil Nadu auf rund 1500 Meter liegende …


…  Munnar nennt sich «tea country in the land of clouds». Die Teeplantagen überziehen die Landschaft in der Umgebung von Munnar kilometerlang mit einem feinen, grünen Samtteppich. Etwas weiter oben werden die sanften Hügel zu schroffen Bergkämmen, an denen sich die von den Meeren herkommenden Wolken – von Westen vom Arabischen Meer, von Osten vom Golf von Bengalen – langsam hochziehen. Ein wunderbar mystisches Schauspiel! Teepflückerinnen sind permanent am Werk, um alle vierzehn Tage die neuen Triebe der Pflanzen zu ernten. Eine blonde Teepflückerin hat in Munnar aber Seltenheitswert! In den von den Plantagen selber betriebenen Verkaufsstellen, werden schliesslich die in verschiedensten Schnitten und Aromen hergestellten Endprodukte auf den Markt gebracht. Happiness is a cup of tea heisst es an einem Geschäft. Das stimmt. Nach einem pfefferscharfen, brennenden Masala-Tee muss man allerdings ein-, zweimal tief durchatmen, bis sich die Happiness wieder einstellt.

 

Die letzten Tage in Indien verbringen wir in Tamil Nadu, in der Umgebung von Chennai (Madras). Hier finden wir in Mamallapuram und Kanchipuram begeisternde Beispiele hinduistischer Tempelarchitektur. Im Küstendorf Mamallapuram wurden im 5. Jahrhundert die ältesten Tempel Südindiens aus Granitbrocken gehauen und mit Reliefs verziert. Die Tempelanlagen Kanchipurams sind einige Jahrhunderte später erschaffen worden und entsprechend grösser und prunkvoller gestaltet. Die Tempelwächter sind streng und lassen niemanden mit Shorts herein.

 

Morgen geht unser Indienaufenthalt nun zu Ende und wir fliegen weiter nach Sri Lanka. Wir sind gespannt auf die Parallelen und Unterschiede zwischen den beiden Ländern, die kulturgeschichtlich ja etliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Was uns jetzt schon klar ist: Indien fasziniert, Indien ist packend, provoziert zum Nachdenken und hält einem auf Trab. Die Leute sind (in den allermeisten Fällen) äusserst herzlich, sehr kommunikativ, hilfsbereit und witzig. Für Liebhaber von Situationskomik ist Indien ein Paradies. Was uns besonders beeindruckt hat, ist, wie – allen Unkenrufen zum Trotz – tolerant die Inder sind. Mehr dazu aber ein anderes Mal.


Zwischenhalt "Erstaunlich tolerantes Indien"

Wer sich für Geschichte interessiert, weiss wie stark der Konflikt zwischen Hindus und Moslems den indischen Subkontinent in der Vergangenheit geprägt hat. Die 1947 erfolgte Aufteilung des Territoriums zwischen Indien und Pakistan (Ost und West) ging einher mit der «Säuberung» von Gebieten nach Religionszugehörigkeit und entsprechenden Massen-Vertreibungen: Sieben Millionen Hindus und Sikhs wurden gezwungen Pakistan zu verlassen. Umgekehrt wurden vier Millionen Moslems aus Indien vertrieben. Fast eine Million Menschen kam dabei ums Leben. Auch danach gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den beiden Religionsgruppen. In Erinnerung sind etwa Unruhen im 2002 im Bundesstaat Gujarat, die über 1000 Todesopfer forderten oder die Anschläge in Mumbai von 2008.

 

Umso mehr überrascht die religiöse Toleranz, die heute im indischen Alltag gelebt und praktiziert wird. Im durch und durch hinduistischen Bundesstaat Rajasthan - nur etwas mehr als 9 % der Gesamtbevölkerung sind islamischen Glaubens, mehr oder weniger der Rest sind Hindus – wird es als Selbstverständlichkeit akzeptiert, dass Muezzins auch die nicht-muslemische Bevölkerung bereits vor 6 Uhr morgens mit ihren lautsprecherverstärkten Gebetsaufrufen aus dem Bett holt. Dabei versuchen sich die Muezzins aus verschiedenen Stadtteilen oft gar gegenseitig zu übertrumpfen. Selbst an Diwali, einem der heiligsten Festtage der Hindus (vgl. Reiseblogeintrag vom 21.10.2017), machen die Muezzins keine Pause – für die Hindus aber absolut kein Problem. Man stelle sich das in der Schweiz vor: Am Weihnachtsmorgen werden wir durch Muezzinrufe geweckt! Interessanterweise ist der Anteil der Moslems in der Schweiz mit 5,1% gar nicht einmal so viel tiefer als in Rajasthan. Umgekehrt ist es in Indien aber auch selbstverständlich, dass der muslemische Buschauffeur der auf der Autobahn spazierenden – aus Hindu-Sicht heiligen – Kuh die nötige Ehrerbietung und Rücksicht entgegenbringt und in rasantem Tempo einen Bogen um sie herumfährt. Die Kühe werden selbstverständlich auch vor Moscheen geduldet. In keinem indischen Restaurant haben wir je Rindfleisch auf der Menukarte gesehen, auch nicht, wenn der Betrieb von Moslems oder Christen geführt wurde. In vielen Orten stehen hinduistische Tempel und Moscheen auf kleinstem Raum nebeneinander (dort wo christliche Minderheiten bestehen – so wie in Kerala –  auch neben Kirchen und Jesus-Statuen). Mahatma Gandhi und andere indische Integrationsfiguren gehören selbstverständlich mit ins Bild.

 

Szenenwechsel zum indischen Verkehr. Dieses von permanenten Hupen begleitete Chaos, dieses für westliche Augen unbegreifliche und undurchschaubare Wirrwarr und Gewühl, dieses Getümmel aller möglicher Strassenbenutzer – von Motorfahrzeugen (mit Millionen Motorrädern und Mopeds) über Fahrräder, Rikschas in allen Formen, Fussgänger, Bettler, Ochsengespanne, Handkarren ziehende oder schiebende Händler und Lieferanten bis hin zu einer Vielfalt von Tieren (Kühe, Schweine, streunende Hunde). Es geht eine Weile bis man realisiert, dass genau dies der Ort ist, wo indische Toleranz und Rücksichtnahme am stärksten zum Ausdruck kommen. Ohne diese Tugenden – das wird mit der Zeit klar – würde der indische Verkehr kollabieren. Ausgangspunkt scheint die gemeinsame Einsicht, dass es in einem 1,3 Milliarden-Volk einen gewissen Egoismus und den stetigen Kampf um eine bessere Positionierung braucht, um ans Ziel zu kommen. Dies verinnerlicht, wird grossmütig akzeptiert, dass einem der andere beim Ringen um eine Lücke bis auf wenige Millimeter nahekommt oder dass die eigene Fahrbahn auch von Geisterfahrern benutzt wird. Es wird präventiv damit gerechnet, dass ein entgegenkommendes Fahrzeug an unübersichtlicher Stelle überholt und man brüsk abbremsen oder gar ins Gras am Strassenrand wird ausweichen müssen. Gefahrensituationen lauern immer und überall, das ist jedem klar. Die Reaktionszeiten von indischen Motorfahrzeugführern sind denn auch kaum zu toppen!  

 

Hat man einmal begriffen, wie der indische Verkehr funktioniert, fügt man sich ein. Unerschrocken tritt man auf die Strasse hinaus, die man überqueren will. Selbstverständlich wird jedes Tuc Tuc und auch alle anderen Fahrzeuge versuchen, den Vortritt zu beanspruchen. Geht es aber hart auf hart, wird ebenso selbstverständlich und mit einem Lächeln des Fahrers jedes Tuc Tuc und Motorfahrzeug bremsen oder ausweichen. Auch ihnen ist eben klar, dass der westliche Tourist nur ans Ziel kommt, wenn er versucht, die sich bietenden Lücken zu nutzen und auszufüllen.



Udawalawe (Sri Lanka)

15.11.2017

Von Indien herkommend erfährt man in Sri Lanka so etwas wie einen umgekehrten Kulturschock. Es ist hier alles so ruhig, gemächlich, übersichtlich und aufgeräumt. Nichts von …


… Hektik und Gedränge am Billettschalter und auf den Bahnsteigen. Keine Kühe und Schweine auf der Strasse, die sich durch Abfallberge hindurchfressen. Selten ein Feilschen um Leistungen und Preise. Irgendwie vermissen wir das Pulsieren und Vibrieren Indiens beinahe etwas. Anderseits geniessen wir die Ruhe, die erholenden Strände, die wunderbare Flora und Fauna dieser Insel und auch hier, die Herzlichkeit der Leute.

 

Zeugen der kolonialen Vergangenheit Sri Lanka’s begegnen einem auf Schritt und Tritt. Im Zentrum der Hauptstadt Colombo etwa das National Museum, das ein kunstbeflissener Gouverneur der britischen Krone erbauen liess. In Galle, an der Südspitze der Insel, steht nach wie vor das Fort, das ursprünglich von den holländischen Seefahrern zur Sicherung ihrer Seewege errichtet wurde. Das Fort selber ist heute ein touristisches Quartier, darin findet sich aber immer noch die ursprüngliche «Dutch Reformed Church» von Mitte des 18. Jahrhunderts (und auf dem danebenliegenden Friedhof die Grabsteine der frühen Seefahrer und Missionare). Den wunderbarsten Strand haben wir in Mirissa an der Südküste, ein paar Kilometer westlich von Matara, gefunden. Nach all den Eindrücken und Erlebnisse der letzten Wochen taten die paar Tage «Strandurlaub» richtig gut! Derzeit befinden wir uns im Udawalawe-Nationalpark, etwa hundert Kilometer landeinwärts von Matara. Der Park ist Heimat von vielen wildlebenden Elefanten. Auch die Vielfalt und Farbigkeit der Vogelwelt lässt einem staunen! Selbst ein paar Adler und ein gähnendes Reptil haben wir in den Fokus der Kamera bekommen. 


Kandy (Sri Lanka)

19.11.2017

Das Signal funktioniert nicht. Deswegen wird ein Bahnbeamter an den Schienenrand beordert, um dem Zug freie Fahrt in den Bahnhof Ella zu signalisieren. Zugfahren in Sri Lanka ist ein Erlebnis….


… Die Infrastruktur stammt weitgehend aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft. Die Bahnhöfe sind äusserst schmuck. Sie sind aber kaum modernisiert worden und lassen daher die Pionierzeit der Eisenbahn nochmals aufleben. Gewisses Rollmaterial ist etwas neueren Datums, die Geleise und Streckenführungen erlauben aber kaum Tempi von über 40 bis 50 km/h. Der nostalgische Charme der Sri Lanka Railways zeigt sich auch bei der hölzernen Anzeigetafel im Bahnhof Kandy. Die durch das zentrale Hochland von Sri Lanka führende Bahnstrecke – die wir von Ella nach Kandy befahren haben - besticht durch wundervolle Landschaften und Panoramen. Vorerst geht es durch das eigentliche Stammland des «Ceylon-Tee». Hier haben die Liptons und wie sie alle heissen ihre «Tea Estates». Etwas tiefer unten werden die Teehügel durch üppige Tropenwälder mit vielen Palmen und Bananenbäumen ersetzt.

 

Auf halber Strecke gelangen wir nach Nuwara Eliya, die gemäss Reiseführer britischste Stadt von Sri Lanka. Das kühle Bergklima und ein Blick auf das Post Office, den Race Course und den «Hill Club», ein Nobelhotel am Stadtrand, bestätigen dies.  Ansonsten allerdings erschien uns der Ort als eine ziemlich normale sri lankische Kleinstadt. Attraktiver ist das an einem See liegende Kandy. Hier steht der für die Buddhisten äusserst wichtige «Zahntempel». Seinen Namen trägt er, weil in einem Schrein eine angebliche Zahnreliquie Buddhas aufbewahrt wird. Über der Stadt thront ein riesiger Buddha, der – so hat man jedenfalls den Eindruck – ganz genau verfolgt, was mit seinem Zahn geschieht.  An bester Seelage hausen auch die Flughunde. Tagsüber hängen sie wie reife Früchte an den Bäumen, kaum dunkelt es ein, beginnen sie ihre Flugbahnen zu ziehen. Der Uhu hingegen scheint in Sri Lanka nicht nur nacht-aktiv. Er will auch tagsüber genau wissen, was um ihn herum läuft.

 

Morgen geht’s nun zurück nach Colombo und am Dienstag weiter nach Indonesien. Sri Lanka hat sich als sehr erholsamen, entspannten Abschnitt unserer Reise herausgestellt. Das Land ist touristisch bestens erschlossen (glücklicherweise von Massentourismuseffekten aber noch weitgehend verschont). In der uns zur Verfügung stehenden Zeit haben wir nur einen kleinen Teil der Insel erkunden können. Bereits hier hat sich gezeigt, welche Vielfalt an Landschaften, Flora, Fauna und Kulturstätten das Land zu bieten hat.


 

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