Matera - Vom Schandfleck Italiens zur Kulturhauptstadt Europas

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Zwar sind ihre Hauptattraktionen – die «Sassi» - nicht sofort ersichtlich. Wenn man schliesslich aber die am Rande der Neustadt an der Felswand eines imposanten Canyons hängenden und in die Felsen vordringenden Schachtelbauten entdeckt, bleibt einem vor Staunen fast der Atem weg. Ein riesiges Krippenspiel wurde die Stadt auch schon genannt. In der Tat sind vor dieser Kulisse denn auch schon Filme wie «Das 1. Evangelium – Matthäus» von Pier Paolo Pasolini, «König David» mit Richard Gere oder «Die Passion» von Mel Gibson gedreht worden.

 

An dem der «Sassi» gegenüberliegenden Hang des Canyons sind immer noch die natürlichen Höhlen und Grotten ersichtlich, in denen sich in Urzeiten Menschen niederliessen. Der Ort gilt als eine der ältesten Siedlungen der Welt. Später wurden die Grotten und Höhlen im Gebiet der heutigen «Sassi» bearbeitet. Der relativ weiche Sand- und Tuffstein liess sich leicht behauen, was ermöglichte, im Felsinnern ganze Unterkünfte zu schaffen, Quader heraus zu lösen, die wiederum für Vorbauten benutzt werden konnten. Je tiefer ausgehöhlt wurde, je mehr Material stand für Fassaden und zusätzliche Bauten zur Verfügung.

 

Eine durch Napoleon Anfang des 18. Jahrhunderts erlassene Landreform führte zu einer massiven Zunahme der Bevölkerung und als Folge zu einer Überforderung der bisherigen sozio-hygienischen Strukturen und Institutionen in Matera. Dazu kam, dass zu dieser Zeit Matera seine Funktion als Hauptstadt der Region Basilicata an Potenza verlor, was zu einer zusätzlichen Verarmung der Stadt führte. Dieser Niedergang schritt fort und verschärfte sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Die «Sassi» waren zwar weitgehend verfallen, dennoch wohnten in ihnen immer noch Menschen. Teilweise unter gleichem Dach wie ihr Vieh. Die Verhältnisse waren absolut erbärmlich, die Kindersterblichkeit stieg bis auf 44% und es grassierte das Malariafieber.

 

Der entscheidende Weckruf erfolgte durch den italienischen Schriftsteller Carlo Levi. 1944 prangerte er in einem seiner Werke die hygienischen Zustände in Matera als katastrophal und menschenunwürdig an. Kurz nach dem Krieg besuchte der Führer der kommunistischen Partei, Palmiro Togliatti, die Stadt und sprach von einer «vergogna nazionale», von einer nationalen Schande! Die italienische Regierung liess daraufhin das ganze Gebiet der «Sassi» räumen. Die Zwangsumsiedelungen waren bis 1968 abgeschlossen und die Höhlen und Bauten verfielen vollends.

 

Erst 1986 wurden die «Sassi» wiederentdeckt und – aufgebaut. 1993 wurden sie zum UNESCO-Weltkulturerbe. Heute leben im Gebiet der «Sassi» rund 2'000 Personen und es finden sich in ihnen wieder zahlreiche Geschäfte, Restaurants, schmucke B&Bs und Hotels. Als vorläufige Krönung ihres Wiederauflebens verhalfen sie Matera 2019 zur Ehre der Kulturhauptstadt Europas!

 

Im Rahmen von «Matera 2019» bot die Stadt dieses Jahr zahlreiche Ausstellungen und Events. Auch im öffentlichen Raum stellten Künstler aus aller Welt ihre Werke aus. Jedoch, auch wenn das «Kulturhauptstadt-Jahr» vorüber ist, wird Matera ein faszinierendes Reiseziel bleiben.