Crashed – von Cortona bis Adam Tooze

… Mit ihren Fotos manifestiert sie „unter die Haut gehend“ die Flüchtlings-Tragödie, die sich an der Grenze zwischen den USA und Mexiko abspielt. So wie im Fall der abgebildeten zwanzigjährigen Frau mit ihrem Kind, die an der unüberwindlichen Grenzmauer buchstäblich aufgelaufen sind. Crashed, perspektivenlos, resigniert … und dabei wäre das (vermeintliche) Paradies so nah.

 

Höchst lehr- und aufschlussreich auch ein anderes „crashed“, mit dem ich mich in den vergangenen Wochen intensiv beschäftigt habe: Das im letzten Jahr erschienene Buch des Wirtschaftshistorikers Adam Tooze  „Crashed – how a decade of financial crisis changed the world“. Das Werk analysiert die Finanzkrise von 2007/2008 und ihre Auswirkungen. Tooze’s Publikation und gilt als erste umfassende Abhandlung der grössten globalen Krise nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

 

Adam Tooze, britischer Staatsbürger, der an der Columbia University in New York lehrt, zeichnet auf 700 Seiten den Verlauf der Krise faktenreich nach und zeigt auf, warum das, was damals geschah für das Verständnis der heutigen geopolitischen Lage so wichtig ist. Für ihn ist klar, dass die durch den Kollaps des US-amerikanischen Immobilienmarkts ausgelöste Finanzkrise von 2007/2008 kausal war für die Eurokrise ab dem Jahr 2010. Tooze verweist dazu auf die Beispiele von Irland und Spanien. Die Staaten seien an sich nicht übermässig verschuldet gewesen. Ihre öffentlichen Finanzen gerieten erst ausser Kontrolle, als ihre Banken kollabierten und der Staat einspringen musste. Die verbreitete Vorstellung, dass es zuerst eine „amerikanische“ und danach separat eine „europäische“ Krise gegeben habe, sei daher falsch.

 

Ausführlich beschreibt Tooze das amerikanische Krisenmanagement unter der Führung der US-Notenbank „Fed“ und des US Treasury (Schlüsselfiguren Ben Bernanke, Tim Geithner und Hank Paulson). Ihr rasches und konsequentes Eingreifen (insbesond. durch die Versorgung der – auch europäischen – Banken mit nötiger Liquidität) und die überparteiliche politische Absicherung ihres Vorgehens (Unterstützung seitens der Demokraten und moderater Republikaner) habe verhindert, dass aus der Finanzkrise eine schwere Wirtschaftskrise wurde.

 

Hart in’s Gericht geht Tooze hingegen mit dem Krisenmanagement der Europäer. Insbesondere Angela Merkel, ihr damaliger Wirtschaftsminister Wolfgang Schäuble und der Präsident der deutschen Bundesbank Jens Weidmann bekommen ihr Fett weg. In einer Art „ordnungspolitischer Verkrampfung“ hätten sie sinnlosen Widerstand gegen ein resolutes Vorgehen der EZB „à l’américaine“ geleistet und sich hinter ihrer (zu) strikten Austeritätspolitik verschanzt. Die Eskalation der Eurokrise sei daher „eine der schwersten selbstverschuldeten wirtschaftspolitischen Krisen der Geschichte“. Als der auf Jean-Claude Trichet folgende neue EZB-Chef Mario Draghi Mitte 2012 schliesslich das Steuer herumriss, habe dies zwar zu einer vorübergehenden Beruhigung der Situation geführt. Die Kurskorrektur sei aber zu spät erfolgt. Hält man sich vor Augen, in welcher schier ausweglosen Situation sich die EZB heute mit ihrer Tiefzins- und expansiven Geldpolitik befindet, muss man Tooze wohl Recht geben. Ein „Antibiotikum-Booster“ gleich zu Beginn der Krise hätte der Patientin „Eurozone“ sicherlich mehr geholfen, als die spätere Rezeptur, die nun kaum mehr Wirkung zeigt.

 

Höchst interessant sind schliesslich die Ausführungen von Tooze zu den Folgen resp. Kollateralschäden der Finanzkrise. Tooze kommt zum Schluss, dass sich die lange Phase der Globalisierung, die zu Beginn der 1970-iger Jahre (nach der Abschaffung des Bretton Wood Systems der fixen Wechselkurse und des beschränkten Kapitalverkehrs) ihren Anfang nahm, im Zuge der Krise erschöpft habe. „America first“ und entsprechende isolationistisch-protektionistische Tendenzen in anderen Ländern haben auf dem geopolitischen Parkett die Oberhand gewonnen. Gegenreaktion zur notgedrungenermassen staatsinterventionistischen (und grundsätzlich erfolgreichen) Krisenbekämpfung in den USA war ein Erstarken des konservativen „Tea Party-Flügels“ innerhalb der Republikanischen Partei. Dieser hatte jegliche Rettungspakete und Regulierungen abgelehnt, die die moderateren Republikaner mitgetragen hatten. Auf der „Tea Party-Welle“ kam schliesslich Donald Trump an die Macht. Dies auch, weil viele Linkswähler entmutigt und frustriert waren - die Finanzkrise kostete jeden US-Haushalt im Durchschnitt 65'000 US-Dollar, d.h. ein normales Jahreseinkommen. Viele von ihnen blieben 2016 den Wahlen fern (oder gingen gar Donald Trump wählen).

 

In Europa müssen Tozze zufolge der Ausgang der Brexit-Abstimmung (die strikte Austeritätspolitik in der Eurozone anfangs der Krise trieb viele Nicht-Qualifizierte auf die Insel) und das Erstarken der Rechtsaussen Parteien und Politiker als direkte Krisenfolgen gesehen werden. Moderatere, eher im Zentrum agierende Parteien gehörten dagegen zu den Verlierern der Krise. Sie seien vielfach zerrieben worden zwischen den Anforderungen des „Krisenhandlings“ und den enttäuschten Erwartungen ihrer Gefolgschaft. Das erklärt das Entstehen neuer Bewegungen wie etwa die „République en marche“ in Frankreich oder die Ciudadanos und Podemos in Spanien. Auch in Italien erwägt der ehemalige Premierminister Renzi die Gründung einer neuen Bewegung ausserhalb des Partito Democratico.

 

Wer sich durch Faktendichte nicht abschrecken lässt, dem kann die Lektüre dieses erhellenden Buches sehr empfohlen werden. Es ist mittlerweile auch in deutscher Übersetzung erschienen unter dem Titel: "Crashed - Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben." Nun, das nächste „crashed“, das wir hier erleben werden, ist erfreulicher – schon bald landen die mittlerweile schön reifen Trauben in der Weinpresse und werden zu herrlichem Chianti :-)